Freiwillige, die heimliche ökonomische Macht

Ein zentraler Bestandteil der Ökonomie ist die effiziente Verteilung von Arbeit und Kapital. Das eine ist kein Ersatz für das andere. Arbeit erfordert Kapital und ohne Arbeit kann sich Kapital nicht entfalten. Der Wert der Arbeit wird monetarisiert durch die damit verbundenen Kosten, insbesondere den Lohn. Was aber, wenn Arbeit ohne Lohn erbracht wird? Was, wenn diese Arbeitstätigkeit nicht nur dem eigenen Hobby dient, sondern einen gesellschaftlichen Nutzen generiert?

In der Covid-19 Pandemie wurde deutlich, welche Bedeutung die Freiwilligenarbeit hinsichtlich Mobilisierung und Leistungsfähigkeit hat. Zigtausend Menschen meldeten sich, um für andere Menschen einzukaufen oder weitere Hilfeleistungen zu geben. Diese Form spontanen Engagements geschieht meist ausserhalb formeller Strukturen. In der COVID19-Krise war es jedoch anders als in früheren Krisen, denn die Gefahr einer Ansteckung bestand für alle Personen gleichermassen. Die Organisation der freiwilligen Einsätze geschah daher oftmals über Online-Plattformen, die Helfer und Empfänger zusammengebrachten. Nur wenige Stunden nach dem Lockdown waren Angebote und Plattformen wie hilf-jetzt, five-up, Amigos oder StudentsagainstCorona verfügbar, die Freiwilligen Aufträge vermittelten, um Menschen aus Risikogruppen zu helfen oder das Gesundheitswesen zu unterstützen. Auf allen Plattformen überstieg das Angebot an Hilfeleistungen die Nachfrage bei Weitem.

Forschende des Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel haben zusammen mit Kollegen der Universität Freiburg/Brsg. und der ZHAW Winterthur untersucht, welche Bedeutung die Online-Plattformen für Freiwilligeneinsätze hatte.[i] Die Analyse von 565 freiwilligen Helfern auf der Plattform Amigos.ch von Migros und ProSenectute zeigt, dass die Online-Plattform das Überangebot an Hilfsbereitschaft kanalisiert und so falsche Erwartungen reduziert. Andererseits leistet die Plattform eine Informationsfunktion zu Sicherheits- und Gesundheitsaspekten, die sich positiv auf die Zufriedenheit der Helfenden auswirkt. Eine höhere Zufriedenheit mit dem spontanen Hilfseinsatz schliesslich kann die Bereitschaft erhöhen, sich später auch langfristig zu engagieren.

Und dieses langfristige Engagement ist wichtig für viele Bereiche der Gesellschaft wie etwa im Sozial- und Gesundheitswesen, in der Kultur oder der Jugendarbeit. Erst seit 1997 wird die Freiwilligenarbeit in der Schweiz vom Bundesamt für Statistik systematisch erfasst. Gemäss der letzten Erhebung wurden 2013 in der Schweiz 665 Mio. Stunden Freiwilligenarbeit geleistet. Zum Vergleich: Die bezahlte Arbeitsleistung im gesamten Gesundheits- und Sozialwesen betrug 853 Mio. Stunden.[ii]

Daneben führt die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) in mehrjährigem Abstand seit 2007 den Freiwilligenmonitor durch; 2020 ist die vierte Ausgabe erschienen. Demnach sind 39 Prozent der Bevölkerung formell (innerhalb von Organisationen) und 46 Prozent informell (ausserhalb von Organisationen) freiwillig aktiv.[iii]

Am Beispiel des Gesundheitswesens lässt sich zeigen, wie Freiwilligenarbeit die Qualität von Leistungen erhöhen und bezahlte Fachkräfte entlasten kann. Mit dem Konzept der interprofessionellen Zusammenarbeit (IPZ) soll der Austausch zwischen Fachpersonen, Patientinnen und Patienten, Angehörigen, Freiwilligen und weiteren beteiligten Personengruppen verbessert werden. 

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat dazu ein Forschungsprogramm aufgesetzt, an dem auch das Center for Philanthropy Studies (CEPS) beteiligt war.[iv] Die Untersuchung hebt den Beitrag der Freiwilligen in Ergänzung zu den Fachpersonen im Gesundheitswesen hervor. Durch die Übernahme von Leistungen, die über den Grundauftrag hinausgehen – etwa Freizeitangebote oder Unterstützung im Alltag – tragen sie wesentlich zum Wohlbefinden von Patienten bei. Zudem spielen Freiwillige eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Patientinnen und Fachpersonal, wodurch die Bedürfnisse ersterer klarer wahrgenommen werden. Gleichzeitig sorgen Freiwillige für Entlastung beim Fachpersonal, das dadurch mehr Zeit für die Grundleistungen hat. Dies führt nicht nur dazu, dass Patientinnen und Patienten die Qualität der Versorgung positiver erleben, sondern hat im Allgemeinen auch zur Folge, die Arbeitszufriedenheit beim Fachpersonal zu steigern.[v]

Damit diese positiven Effekte entstehen, scheinen zwei Voraussetzungen besonders wichtig: Zum einen betonen sowohl Organisationen als auch Freiwillige die Wichtigkeit einer klaren Rollenverteilung. Dies hilft Freiwilligen dabei, sich in ihrer Arbeit zu orientieren, stellt sicher, dass bezahlte Mitarbeitende sich nicht in ihrer Rolle bedroht fühlen und verhindert, dass Freiwillige das Wohlbefinden von Patienten durch die Übernahme von Aufgaben, für die sie nicht qualifiziert sind, potentiell beeinträchtigen. Gleichzeitig gilt aber auch: Freiwillige lassen sich nicht gerne in ein Korsett zwingen: dies kann die Lust zu helfen, die grundlegende Motivation von Freiwilligen also, negativ beeinflussen. Für Organisationen heisst dies, eine geeignete Balance zwischen Verpflichtungen und Freiheit für Freiwillige zu finden, beispielsweise durch die Schaffung einer internen Koordinationsstelle für Freiwillige.

Eine Gesellschaft – und auch eine Wirtschaft – ohne Freiwillige ist kaum vorstellbar. Denn Freiwillige erbringen Leistungen, die nach wirtschaftlichen Massstäben nicht bezahlbar sind und sich auch nicht staatlich organisieren oder regulieren lassen. Gerade Krisen wie die Covid-Pandemie führen dies eindrucksvoll vor Augen.


[i] Vgl. Trautwein, St./ Liberatore, F./ Lindenmeier, J./ von Schnurbein, G.: Satisfaction with informal volunteering during the COVID-19 crisis: An empirical study considering a Swiss online volunteering platform, Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly, 2020, forthcoming.

[ii] Vgl. Bundesamt für Statistik (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in der Schweiz 2013/2014, 2015, Neuenburg: BfS.

[iii] Vgl. Lamprecht, M./ Fischer, A./ Stamm, H.: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020, 2020, Zürich: Seismo Verlag.

[iv] Link zur Homepage des Forschungsprogramms «Interprofessionalität im Gesundheitswesen»

[v] Vgl. von Schnurbein, G. / Liberatore, F. / Hollenstein, E. / Arnold, N.: Gelingender Einsatz von Freiwilligen in der interprofessionellen Versorgung, CEPS Forschung und Praxis Bd. 22, 2020, Basel: CEPS.

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