Zusammen mit der ETH und seit neustem auch mit dem LINK-Institut verfolgen wir am WWZ die Mobilitätsentscheidungen von Personen in Schweizer Agglomerationen seit Herbst 2019 mithilfe des IVT/WWZ MOBIS-COVID19 GPS Panels.[1] In einem früheren Beitrag habe ich die Folgen der Pandemie und der damit verbundenen Massnahmen auf die Mobilität in der Schweiz diskutiert. Danach erlebten wir in der Schweiz eine Phase, in der das Virus fast vergessen ging, und seit November hat uns bekanntlich die zweite Welle im Griff. Die Forschung ging natürlich weiter. Zeit also für ein Update.
Grafik 1 zeigt die proportionale Veränderung der Personen-km in Grün, relativ zur Baseline-Periode im September und Oktober 2019. Die gestrichelten schwarzen Linien markieren die wichtigsten Wendepunkte der Pandemie. Wir sehen, dass die Mobilität in der ersten Welle stark abnahm und sich nur langsam wieder an das Vor-Pandemie-Niveau herantastete. Die Reduktion aufgrund der zweiten Welle (ab 19. Oktober 2020) war im Vergleich viel weniger stark, und dies bei deutlich höheren Fallzahlen (rote Linie). Natürlich ist dies zum Teil auf den «fehlenden» zweiten Lockdown zurückzuführen, aber es scheint auch eine Gewöhnung an das Virus stattgefunden zu haben, und, leider, an die täglichen Todesfälle. Das Schockierende wurde zur Normalität.
Grafik 1: Veränderung der Gesamtreisedistanzen relativ zur Baseline

Erklärungen zur Grafik: Die grüne Linie zeigt die Koeffizienten einer Schätzung, mit welcher die proportionale Veränderung der Mobilität der einzelnen Studienteilnehmer in der Pandemie relativ zu ihrer persönlichen Baseline modelliert wird (linke Skala). Die Schätzung kontrolliert für Personen-Fixed-Effekte und Wetter. Die vertikalen grünen Linien sind 95%-Konfidenzintervalle. Die rote Linie zeigt die negative Summe der Neuinfektionen pro Woche und 100,000 Personen (rechte Skala). Lesebeispiel: Am 19. 10. legten die Personen in unserem Panel 80% der für sie üblichen Distanzen zurück und die Rate der Neuinfektionen lag bei ca. 300 pro Woche und 100,000.
Die zweite Grafik zeigt die Veränderungen der Personen-km nach Verkehrsmittel, berechnet für «durchschnittliches» Wetter.[2] Wir sehen, dass der Veloboom der ersten Welle in der zweiten Welle gänzlich fehlt. Das heisst natürlich nicht, dass niemand Velo fährt, aber es sind wohl eher die gewohnheitsmässigen Fahrradfahrer, die auf dem Velo unterwegs sind.
Grafik 2: Reisedistanzen pro Verkehrsmittel

Der öffentliche Verkehr ist nach wie vor schlecht ausgelastet, wird aber viel stärker genutzt als während der ersten Welle. Möglicherweise ist dies der Maskenpflicht zuzuschreiben, welche die Besorgnis der ÖV Benutzer etwas gedämpft und mit einigem Verzug doch noch Wirkung gezeigt haben könnte. Bei der Einführung am 6. Juli 2020 (gestrichelte Linie) war allerdings keine direkte Reaktion feststellbar.
Grafik 3 zeigt die Anteile der Verkehrsträger an den Gesamtdistanzen. Der Anteil des Autos ist mit Ausnahme des Beginns der zweiten Welle ziemlich stabil über die Zeit. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs ist momentan etwa halb so gross wie zu normalen Zeiten. Das bedeutet, dass die Reduktion der Mobilität in der zweiten Welle vorwiegend im öffentlichen Verkehr erfolgt. Ausgedrückt als Anteile sehen wir momentan so etwas wie einen Zu-Fuss-Boom (Pink), der in den absoluten Distanzen (Grafik 2) nicht sichtbar ist.

Die letzte Grafik zeigt die Mobilität nach Homeoffice-Status: Arbeiten zu Hause, ausser Haus sowie eine Mischung der beiden Modelle. Wir sehen, dass Homeoffice durchaus die Mobilität reduziert und somit ein geeignetes Mittel ist, die Verbreitung des Virus indirekt einzudämmen.
Grafik 4: Mobilität nach Homeoffice-Status

Aufgrund der trotz stabil hoher Fallzahlen relativ hohen Mobilität und in Anbetracht der Tatsache, dass die Geschwindigkeit der Impfungen bisher sehr überschaubar blieb, ist die Wiedereinführung der Homeoffice-Pflicht aus unserer Sicht daher zielführend.
[1] IVT/WWZ MOBIS-COVID19 GPS panel, https://ivtmobis.ethz.ch/mobis/covid19/
[2] Konkret wurden sogenannte “Heating Degree Days” (CDD) und “Cooling Degree Days” (CDD) für Temperatur und Niederschlagsmengen in mm pro Stunde berechnet. Die Grafik zeigt die Veränderung der Personen-km evaluiert an den durchschnittlichen Werten von Niederschlag, CDD und HDD. Daten von MeteoSwiss.
Wenn sich das Virus doch nur an seine bekannten Charakteristika halten würde, wären diese Statistiken nicht nötig