«Die Gewinner von heute könnten die Verlierer von morgen sein». So betitelte die NZZ einen Artikel, den Christian Rutzer und ich zur aktuellen Krise kürzlich (24.4.2020) verfasst hatten. Unser Argument ist einfach:
Die Erwerbstätigen, welche ihre Arbeit — zum Beispiel aufgrund des notwendigen physischen Kontakts mit Kunden — nicht im Home Office erledigen können, gehören tendenziell zu den am stärksten negativ Betroffenen in der Corona-Krise. Sie hatten aufgrund der vom Bund verordneten Massnahmen kurzfristig keine Chance, ihre Leistungen weiter anzubieten.[1] Man denke an Verkäufer in Fachgeschäften oder das Servicepersonal in Restaurants. Ihnen gegenüber stehen die Personen, welche ihre Berufe relativ gut auch von zuhause aus wahrnehmen können (zum Beispiel wir als Dozierende an der Universität oder Mitarbeiterinnen im IT-Bereich). Diese haben die Pandemie dank moderner Technologie relativ gut überstanden. Unsere These besagt, dass genau diese zweite Gruppe, die man als relative Gewinner der heutigen Krise bezeichnen könnte, unter den Druck des internationalen Outsourcings geraten dürfte, während die heutigen Verlierer (die erste Gruppe) von der Globalisierung –vom Offshoring ihrer Tätigkeit – wenig zu befürchten haben. Damit würden die Erwerbstätigen in Homeoffice-affinen Berufen zu den Verlierern von morgen.
Die Corona-Krise würde uns dann einen gewissen Vorgeschmack der beruflichen Herausforderungen geben, welche uns durch die Kombination von Globalisierung und Digitalisierung noch drohen könnten — mit umgekehrten Vorzeichen. Die zentrale Frage ist, ob diese These zutrifft oder nicht. Könnte die «Verbannung» gewisser Berufe ins Home Office einen ersten Schritt zum Offshoring von morgen oder übermorgen darstellen? Eine interessante, aber schwierige Frage.
Tabelle 1 zeigt eine kleine Auswahl von Berufen, für die Christian Rutzer und Matthias Niggli im Center for International Economics and Business (CIEB) an unserer Fakultät die Wahrscheinlichkeit errechneten, dass sie im Home Office durchgeführt werden können. Grundlage für ihre Abschätzung bildet die Verknüpfung von amerikanischen Daten zur Homeoffice-Tauglichkeit von Berufen mit jeweils rund 100 Merkmalsausprägungen dieser Berufe bezüglich Arbeitsinhalt und –umfeld auf der Basis von Machine Learning und die Anwendung des so erklärten Zusammenhangs auf Berufe gemäss schweizerischer Klassifikation. Wie erwartet zeigen «Bergleute und Grubenarbeiter» oder «Lokomotivführer», aber auch «Zahnärzte» oder «Köche» eine tiefe Homeoffice-Wahrscheinlichkeit. Berufe wie «Bürokräfte und verwandte Berufe», «Bürokräfte in der Lohnbuchhaltung» oder «Universitäts- und Hochschullehrer» weisen dagegen eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit auf, dass sie aus dem Home Office ausgeübt werden können.
Quelle: Beispiele aus der interaktiven Tabelle von Christian Rutzer und Matthias Niggli (2020), «Corona-Lockdown und Homeoffice in der Schweiz», Center for International Economics and Business (CIEB), Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Basel, https://cieb.shinyapps.io/HomeOffice_CH/
Dass die Berufe, welche eine geringe Affinität für das Home Office aufweisen, wenig von einem möglichen internationalen Outsourcing betroffen sein dürften, ist offensichtlich. Ein Lokomotivführer, der seine Lokomotive (zumindest heute) nicht vom Home Office aus führen kann, muss keine Angst haben, dass seine Aufgabe von einer Lokomotivführerin aus dem Ausland erledigt wird. Ähnlich ist dies für das Reinigungspersonal, den Zahnarzt oder die Fachärztin.
Doch wie steht es mit den Berufen, welche am unteren Ende der Tabelle 1 aufgeführt sind? Nehmen wir die Universitäts- und Hochschullehrerin. Ob sie ihre Veranstaltung über Zoom von einer Insel aus in weiter Ferne (mit einem schönen Strand und im Winde wehenden Palmen im Hintergrund …) anbietet oder aber vom Arbeitszimmer zuhause in der Region Basel, spielt für die Studierenden keine Rolle. Zudem hat die Übertragung der Lehre in digitale Formate insgesamt sehr gut funktioniert. Auch wenn es natürlich Grenzen gibt: Die beschränkten Interaktionsmöglichkeiten zum Beispiel oder der fehlende persönliche Kontakt der Studierenden zu den Dozierenden und zu ihren Kommilitonen. Gleichzeitig gibt es Vorteile gegenüber dem physischen Format. Die Videoaufnahmen von Veranstaltungen (Vorlesungen, Diskussionen) bieten berufstätigen Studierende hohe zeitliche Flexibilität. Zudem ist es möglich, anspruchsvolle Sequenzen je nach individuellem Bedarf wiederholt zu betrachten, was in der physisch gehaltenen Vorlesung so nicht machbar ist.
Auch in der Forschung entstanden durch Lockdown und Technologieeinsatz neue Möglichkeiten. Virtuelle Forschungsseminare zum Beispiel, die es mir und meinem Team erlaubten, von zuhause aus am hochkarätig besetzten «Virtual International Trade Seminar» der University of Rochester (USA) teilzunehmen. Auch unsere Fakultät hat derartige Seminare initiiert, die erstaunlich gut funktionierten. Auch wenn die nachfolgenden informellen Gespräche fehlten und die (auch für die Forschung) wichtige persönliche Interaktion.
Ähnliche Überlegungen gelten vermutlich auch für die anderen in Tabelle 1 aufgeführten Berufe – für Psychologen, für Bürokräfte im Bereich Lohnbuchhaltung oder Führungskräfte im Bereich Finanzen. In der Privatwirtschaft wird teilweise sogar betont, dass die Sitzungen über das Home Office effizienter geworden seien: Sie seien kürzer und es gäbe auch weniger unnötige Treffen. Andere meinen, dass dezentrale, internationale Videokonferenzen in Zukunft viele Geschäftsreisen ersetzen werden. Die Arbeit von zuhause aus schaffe Flexibilität und sei manchmal sogar weit produktiver, weil man nicht gestört werde. Natürlich hört man auch hier, dass der gelegentliche persönliche Kontakt zwischen den Mitarbeitern und zwischen den Akteuren über eine ganze Lieferkette wichtig bleibe.
Obwohl unsere Erfahrungen mit dem «erzwungenen» Home Office verzerrt sind, geben sie doch interessante Erkenntnisse. Überall dort, wo man hört, «das Home Office funktioniert erstaunlich gut», kann man grundsätzlich auch ein entsprechendes Potenzial zum Offshoring verorten. Auf die entsprechenden Berufe käme dann noch einiges zu. Dort, wo hingegen die Erfahrungen eher negativ sind und zum Beispiel der fehlende persönliche Kontakt als grosses Problem erachtet wird, dürfte der Druck zum Offshoring tendenziell begrenzt sein.
[1] Es gibt Ausnahmen wie das Gesundheitswesen oder der öffentliche Verkehr.