Libra, digitales Geld und Systemrelevanz

Vor ziemlich genau einem Jahr kündigte ein Schweizer Verein rund um Facebook die Digitalwährung Libra an. Die Idee: Jede Person sollte spielend leicht digitale Werteinheiten, die einen Anspruch auf verschiedene Landeswährungen verkörpern würden, übertragen können. Das Ganze sollte auf einer verteilten Datenbank, also einer Art Blockchain, entstehen. Die Neuigkeiten wurden mit grossem Interesse verfolgt und breit diskutiert. Dabei wurde schnell klar, dass das Projekt eine Vielzahl an potentiellen Problemen mit sich bringen würde: von Datenschutzbedenken, über wettbewerbsrechtliche Fragestellungen bis hin zu Sorgen hinsichtlich der monetären Souveränität von Staaten und Zentralbanken. Libra wurde von allen Seiten kritisiert und eine Umsetzung erschien chancenlos. Zu gross war der weltweite Widerstand, insbesondere von Finanzmarktregulatoren und Zentralbanken.

Vor wenigen Wochen – im April 2020 nahm die Libra Association nun einen zweiten Anlauf und veröffentlichte ein neues Konzeptpapier mit angepasstem Modell. Brisant an der Sache: Obschon viele der ursprünglichen Kritikpunkte 1:1 auf das neue Modell übertragbar sind und punktuell sogar noch gravierender ausfallen müssten, ist die öffentliche Diskussion verstummt. Teilweise ist dies sicherlich darauf zurückzuführen, dass die Welt im Q2 dieses Jahres vor unmittelbarere und schwerwiegendere Probleme gestellt wurde. Es besteht nun aber die nicht zu vernachlässigende Gefahr, dass das Projekt mit grossen Schritten voranschreitet und letztlich ohne einen öffentlichen Diskurs umgesetzt wird. Dies wäre problematisch, da die ökonomischen und politischen Implikationen von Libra enorm sein dürften und eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema entsprechend wichtig wäre.

Bereits bei der ersten Version von Libra habe ich gewarnt, dass wir Gefahr laufen würden uns den Wolf im Schafspelz einzuladen. Trotz der Kritik war damals der Irrglaube weit verbreitet, dass es sich bei Libra um eine offene und dezentralisierte Infrastruktur analog Bitcoin oder Ethereum handeln würde, die durch Drittunternehmen und -Personen uneingeschränkt genutzt werden kann. Schon damals war dies nicht der Fall und mit Version 2 sind die Einschnitte nochmals gravierender, die Sonderrechte ausgeprägter und das System allgemein deutlich zentralisierter ausgefallen. In der kurzen Frist kommt dies bei einigen Regulatoren gut an. In der langen Frist kann es aber schwerwiegende Folgen haben und zu einer enormen Machtkonzentration führen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch — es geht nicht darum um jeden Preis zu dezentralisieren. Auch soll an dieser Stelle betont werden, dass nicht jede Form der Zentralisierung schlecht sein muss. Im Gegenteil, aus unmittelbaren Effizienzüberlegungen gibt es gute Gründe, die für zentralisierte Systeme sprechen können. Im Zusammenhang mit Libra sind aber insbesondere drei Punkte problematisch:

  1. Seit mehr als einem Jahrzehnt diskutieren wir in der Schweiz über die Systemrelevanz von Finanzdienstleistern. Nun hätten wir durch die Blockchain-Technologie erstmalig die Möglichkeit eine öffentliche Datenbank zu schaffen, die keinen “Single Point of Failure” aufweist, die durch alle Akteure gleichermassen genutzt und durch niemanden kontrolliert werden kann. Ironischerweise wird in vielen Fällen aber genau diese Technologie derart verwässert, dass letztendlich wiederum eine quasi-zentralisierte Datenbank mit privilegierten Akteuren und Sonderrechten entsteht. Dies ist insbesondere dann ein Problem, wenn die Datenbank trotz gegenteiliger Charakteristika als dezentral wahrgenommen wird.
  2. Sollte ein zentralisiertes System bevorzugt werden, bräuchte es dafür weder eine Blockchain noch einen privat initiierten Verein. Stattdessen könnte ein solches Vorhaben über allgemein zugängliches elektronisches Zentralbankengeld (Central Bank Digital Currency oder CBDC) realisiert werden. Natürlich würde ein solcher Ansatz ebenfalls viele ökonomische Fragestellungen aufwerfen. Im Gegensatz zum Libra Proposal würde CBDC aber nicht durch einzelne Unternehmen kontrolliert und wäre insofern deutlich unabhängiger.
  3. Libra ist weit mehr als “nur” ein Zahlungssystem. Libra ist eine “Smart Contracts”-Plattform und erlaubt das Ausstellen und Übertragen von beliebigen Werteinheiten. Aktien, Bonuspunkte aus dem Supermarkt und Vielflieger-Meilen (sofern heutzutage noch relevant) sind nur einige Beispiele von Werteinheiten, die über Libra abgebildet und transferiert werden können. Die Kombination aus Zahlungssystem, Wertschriftenplattform und Prozessinfrastruktur würde drei wichtige Grundpfeiler unserer Ökonomie miteinander vermengen und potentiell eine zentralisierte Allzweck-Plattform schaffen. Eine Allzweckplattform, die durch einige wenige, stark amerikanisch geprägte Unternehmen kontrolliert werden würde. Dies sollte meiner Meinung nach eine Vielzahl an Fragen aufwerfen.

Zusammengefasst: Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt angelangt, an dem wir uns die Frage stellen müssen, ob eine Plattform wie Libra erstrebenswert ist. Ja, es wäre sicherlich komfortabel Geld und Wertschriften direkt in WhatsApp zu versenden und auch die Kombination mit Smart Contracts klingt verführerisch. Die Frage ist aber welchen Preis wir dafür bezahlen, welche Abhängigkeiten dadurch entstehen und welche Parteien in systemrelevante Positionen gebracht werden. Ich hoffe, dass diese Fragen stärker in den Fokus rücken, sobald wieder ein Stückchen Normalität einkehrt. Denn eines steht fest: Beim Thema Geld und Digital Assets sind die kommenden Jahre wegweisend und allfällige Fehler dürften nur schwer zu korrigieren sein.

3 Kommentare

  1. LIbra Association unterliegt dem Schweizer Finanzmarktrecht. Somit ist die FINMA zuständig. Zudem ist die Nationalbank betroffen. Ich verstehe nicht recht, wer und was mit „wir“ und „Gesellschaft“ addressiert wird.

    1. Danke für den Kommentar. Die Begriffe „wir“ und „Gesellschaft“ beziehen sich auf den Plattformaspekt. Selbstverständlich ist es korrekt, dass Teilaspekte des Projekts (Stablecoin und Tokenisierung) unter das Mandat der Finanzmarktaufsicht fallen. Insbesondere im Kontext der Smart Contracts Plattform stellen sich aber viele weitere Fragen, die nicht zwingend durch die FINMA beurteilt werden. Hier wünsche ich mir eine öffentliche Diskussion. So oder so bin ich der Meinung, dass eine öffentliche Debatte bei einem derart wichtigen (und breiten) Thema nicht schaden sollte.

  2. Interessanter Beitrag. Natürlich wäre eine weltweite Monopolplattform, kontrolliert von einigen Unternehmen und reguliert durch Monopolzentralbanken, problematisch. Also müsste nach Rahmenbedingungen gesucht werden, in denen sich konkurrierende Plattformen der vom Autor geschilderten Art entwickeln könnten. Am besten würde man sich wohl einmal in der Österreicher Schule umsehen…. Mises, von Hayek u.a.

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