Mit der Totalrevision des CO2-Gesetzes will der Nationalrat eine neue Phase der Klimapolitik in der Schweiz beginnen. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen der Schweiz auf 50% des Standes von 1990 gesenkt werden. Zudem sollen neue Massnahmen eingeführt werden, wie eine merkliche Lenkungsabgabe im Bereich des Strassenverkehrs, eine Abgabe im Flugverkehr sowie ein neuer Richtwert für die CO2-Emissionen bei Neubau und Ersatz von Heizanlagen.
Trotz breiter Zustimmung im Nationalrat gibt es auch Kritik an der Revision. Von der einen Seite wird das Gesetz als zu „planwirtschaftlich“ kritisiert. Von der anderen Seite werden zu wenig ambitionierte Massnahmen bemängelt. Eine interessante Frage ist daher, wie die Totalrevision aus ökonomischer Perspektive zu bewerten ist: Wird zu viel, zu wenig oder in vernünftigem Mass in individuelle Entscheidungen eingegriffen?
Einen ersten Anhaltspunkt geben Arbeiten aus der Klimaökonomie. Es ist mittlerweile wissenschaftlich praktisch unbestritten, dass eine deutliche Senkung der Treibhausgasemissionen erforderlich ist, um die erheblichen Kosten eines ungebremsten Klimawandels zu vermeiden. Selbst eher skeptische ökonomische Analysen zeigen, dass eine schrittweise Verringerung der Treibhausgasemissionen (gegenüber einem Business-as-usual-Szenario) wirtschaftlich sinnvoll ist. Ein typisches Beispiel ist hier Nordhaus (2019).
Ob die im Gesetz vorgesehene Geschwindigkeit der Reduktion sinnvoll ist, lässt sich aber nicht allein aus ökonomischer Perspektive klären. Der Grund ist, dass hier eine fundamentale ethische Frage ins Spiel kommt: Wie wichtig sind uns kommende Generationen (Kinder, Enkel, …) verglichen mit uns selbst?
Klimaökonomische Modelle bilden diese Frage durch die sogenannte Diskontrate ab. Wird diese Diskontrate gross angesetzt, wird dem Wohlergehen zukünftiger Generationen wenig Gewicht beigemessen; eine langsame Emissionsreduktion ist empfehlenswert. Wird die Diskontrate hingegen klein gewählt, erhält das Wohlergehen zukünftiger Generationen ähnlich viel Gewicht wie unser Eigenes; dann ist es ökonomisch rational, bereits heute starke Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu ergreifen.
Die Bewertung des im Gesetz vorgesehenen Reduktionsziels ist damit eine Frage des ethischen Standpunkts. Wird das Wohlergehen kommender Generationen als ähnlich wichtig angesehen wie das Wohlergehen heute lebender Menschen, liegt das Reduktionsziel im Bereich ökonomisch plausibler Zielsetzungen.
Schwieriger ist die Bewertung der vorgeschlagenen Massnahmen. Die neue Klimapolitik setzt auf einen breiteren Einsatz von Anreizen (Ausweitung von Lenkungsabgaben auf den Mobilitätsbereich) kombiniert mit zusätzlichen Massnahmen, wie technische Standards und Informationskampagnen.
Anreizinstrumente, wie eine Abgabe auf CO2-Emissionen, ein Emissionshandel oder auch eine Kombination dieser Instrumente, sind grundsätzlich gut geeignet, CO2-Emissionen kostengünstig zu senken (siehe z.B. Landis et al. (2019), Krysiak und Oberauner (2010)).
Verschiedene Forschungsarbeiten aus dem Forschungszentrum SCCER CREST geben noch genauere Hinweise für die Klimapolitik:
- Wie Schleiniger et al. (2018) argumentieren (CREST White Paper #06/2018), ist eine breite Abstützung der Klimapolitik sinnvoll, d.h. Anreize sollten (anders als bisher) in allen relevanten Sektoren gesetzt werden. Insbesondere sollten der Strassen- und Luftverkehr verstärkt einbezogen werden.
- Zudem sollten Anreize (wie die CO2-Abgabe) mit Informationskampagnen und technischen Standards kombiniert werden (Filippini et al., 2018; CREST White Paper #7/2018). Aufgrund von Informationsdefiziten oder Routinen bleiben Haushalte oft zu lange bei bekannten Technologien und Verhaltensmustern, auch wenn ein Wechsel für sie sowohl ökonomisch vorteilhaft als auch insgesamt ökologisch sinnvoll wäre.
Diese Arbeiten zeigen, dass die grundlegende Stossrichtung des neuen CO2-Gesetzes durchaus ökonomisch sinnvoll ist. Schwerpunkt der Politik bleiben kosteneffiziente Anreizsysteme, die auf weitere Sektoren ausgeweitet und durch zusätzliche Instrumente ergänzt werden. Vorbehalte sind vor allem in Details zu sehen; so zum Beispiel in der Frage, ob die Höhe der Anreize in den verschiedenen Sektoren gut aufeinander abgestimmt ist und wie einzelne Anreize (z.B. die Flugticketabgabe) sinnvoll in einen internationalen Kontext integriert werden können.
Trotzdem könnte die Politik noch optimiert werden. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Verknüpfung mit anderen Politikfeldern. Ein erheblicher Teil der Energienachfrage und der CO2-Emissionen ist durch strukturelle Faktoren getrieben (Burger et al., 2018; CREST White Paper #4/2018). Zum Beispiel beeinflusst die Frage wo Menschen wohnen und arbeiten die Pendeldistanz und damit das Verkehrsaufkommen. Ebenso verbrauchen Einpersonenhaushalte deutlich mehr Energie pro Kopf als Mehrpersonenhaushalte. Diese strukturellen Aspekte werden aber weniger durch Klimapolitik als vielmehr durch andere Politikfelder (z.B. Steuerpolitik, Raumplanung) beeinflusst. Eine Abstimmung der Klimapolitik mit Massnahmen in anderen Politikfeldern wäre daher wünschenswert.
Burger et al. (2018). Reduktion der Energienachfrage von Haushalten – erfolgversprechende Schritte auf einem langen Weg, CREST White Paper #4/2018.
Filippini et al. (2018). Politische Maßnahmen zur Reduzierung der Energieeffizienzlücke, CREST White Paper #7/2018.
F.C. Krysiak und I.M. Oberauner (2010). Environmental policy à la carte: Letting firms choose their regulation, Journal of Environmental Economics and Management 60(3), pp. 221-232.
Landis, S. Rausch, M. Kosch, C. Böhringer (2019). Efficient and Equitable Policy Design: Taxing Energy Use or Promoting Energy Savings? The Energy Journal 40(1), pp. 73-104.
D. Nordhaus (2019). Climate Change: The Ultimate Challenge for Economics, American Economic Review 109(6), pp. 1991–2014.
Schleiniger et al. (2018). Zur schweizerischen Klimapolitik: Wie effizient ist die Bepreisung des fossilen Energieverbrauchs? CREST White Paper #06/2018.
Vielen Dank… sehe diese Hinweise leider erst jetzt. Von China, Indien, afrikanischen Ländern und vielen anderen kann das heute unter keinen Umständen erwartet werden. Für dieses Dilemma ist nicht nur die Schweiz irrelevant, sondern sogar Europa insgesamt. Viele ärmere Regionen können ihr Standing unter den aktuellen technologischen Gegebenheiten nur dann halten (bei steigender Bevölkerung) und sogar verbessern, wenn sie weiterhin (fast) voll auf fossile Energie setzen. Und das tun sie.
Nordhaus ist mir bekannt. Tiefer als Hazlitt geht dieser sicher nicht – ist auch nicht vergleichbar. Wer Hazlitts erste und einzig relevante Lektion nicht erfüllt, mag irgendwo in die Tiefe gehen, so tief es geht, er bohrt dann aber auf jeden Fall an der falschen Stelle.
Ökonomie aus dem ersten Semester hilft schon, die Dinge zu sortieren. Es geht um die Begrenzung des weltweiten CO2-Ausstosses. Das macht man entweder mit einer CO2 Steuer oder einem Emissionshandel. Bei der Kombination der beiden Alternativen wird es schon schwierig. In den beiden White Papers sprechen sich die beteiligten Ökonomen gegen einen “one fits all” Ansatz aus und begründen eine Latte von staatlichen Massnahmen mit Marktversagen. Informationsdefizite sollen behoben und es soll gestupst werden; verlieren aber kein Wort zu Staatsversagen im Umwelt und Energiebereich.
In der Theorie wäre ein einheitlicher Preis für CO2 sicher gut. Die Forschung der letzten Jahre hat aber gezeigt, dass eine differenzierte Klimapolitik (d.h. die Kombination verschiedener Massnahmen) in realen Anwendungen durchaus sinnvoll ist. Zum einen geht dies auf Marktversagen und Informationsdefizite zurück; es ist z.B. recht schwierig in einer Mieter/Vermieter Konstellation, wo der Vermieter die Investitionskosten und der Mieter die Heizkosten trägt, mit einem Instrument gute Anreize sowohl für die Investition in eine Heizanlage als auch für Nutzung der Anlage (Raumtemperatur, Lüftungsverhalten) zu setzen.
Andererseits bettet sich Klimapolitik in bestehende Massnahmen ein; es gibt z.B. die Schwerverkehrsabgabe im Gütertransport aber keine vergleichbare Abgabe im Bereich individueller Mobilität. Ebenso verursacht die Nutzung von fossilen Brennstoffen in verschiedenen Bereichen (z.B. Heizung vs Mobilität) unterschiedliche zusätzliche Schäden (lokale Luftverschmutzung, Lärm, …). Diese weiteren Schäden sind oft in unterschiedlichem Ausmass internalisiert, was eine Differenzierung von CO2 Preisen sinnvoll macht.
In Sachen Diskontrate ist Nordhaus allerdings anderer Ansicht. Eine Diskontrate nahe null als ethische Position zu propagieren, würde einem Ökonomen wie Nordhaus nie einfallen, weil es sich an der real beobachtbaren Gegenwartspräferenz der Menschen orientiert. Genau deshalb hat er auch die dramatischen Folgerungen des Stern Report zurückgewiesen, weil sie einzig und allein auf der sehr niedrigen Diskontrate beruhten. Nordhaus ist eben ein Realist und kein Moralist. Er weiss, dass die Durchsetzung von Klimamassnahmen, die auf einer Diskontrate nahe null basieren, in einer Demokratie niemals durchsetzbar wären.
Nordhaus hat in der Tat lange Zeit für eine an beobachteten Zeitpräferenzen orientierte Diskontrate argumentiert. In seinen letzten Arbeiten ist er allerdings davon abgerückt und stellt die verschiedenen Ansätze für Diskontraten nebeneinander (siehe z.B. das im Blog erwähnte Paper). Der Grund ist einfach: Die Diskontrate in Klimamodellen vermischt zwei ethisch grundverschiedene Fragen. Zum einen die Frage wie ein Mensch während seines Lebens Wohlergehen heute gegen Wohlergehen später abwägt. Zum anderen die Frage wie das Wohlergehen heute lebender Menschen gegenüber dem Wohlergehen von Menschen zu gewichten ist, die erst in 50 der 100 Jahren geboren werden. Durch die lange Wirkung von THG Emissionen (mehrere 100 Jahre) treten immer beide Fragen auf, wenn es um die Gestaltung von Klimapolitik geht. Da es hier um eine normative Frage geht, gibt es keine einzelne “wissenschaftlich korrekte” Antwort, sondern nur Argumente, die für eine höhere oder niedrigere Diskontrate sprechen. Was die Wissenschaft als Beitrag zur politischen Diskussion leisten kann, ist deutlich zu machen, welche ethische Position implizit hinter einem klimapolitischen Ziel steht.
Ob die Ziele politisch durchsetzbar sind, ist eine andere Frage. In der Schweiz, sowie in vielen anderen europäischen Ländern, scheint es aber durchaus eine solide Mehrheit (sowohl in der Bevölkerung als auch in den Parlamenten) für eine anspruchsvolle Klimapolitik zu geben.
Dieser Studie scheint eine grundlegende Grösse zu fehlen, auf welche sie nicht verzichten kann. Und das wäre die Extrempositionen “Brutto Null anthropogene THG ab sofort”. Wie läuft die Erwärmung in diesem Falle weiter? Dieses Modell schuldet uns die Klimawissenschaft. Klima ist ein träger Supertanker, der sich nicht so einfach mit Massnahmen steuern lässt. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kämen vielleicht auch wieder einmal Kosten/Nutzen einer Anpassung (Adaptation) ins Spiel. Eine durchaus ethische Frage.
“Netto-Null in dreissig Jahren” ist eine politische, nicht eine wissenschaftliche Forderung. Die Klimawissenschaft soll gefälligst unvoreingenommene Grundlagen liefern, sonst sind alle Folgestudien, wie diese, Makulatur.
Wozu braucht es das Szenario “Brutto Null anthropogen THG Emissionen”? Als Vergleichsszenario wird üblicherweise das realistischere Szenario “Weiter wie bisher” verwendet und ein Vergleichspunkt reicht aus.
Die Trägheit des Klimasystems ist eher ein Grund rasch aktiv zu werden. Auch bilden einige Modelle der Klimaökonomie Adaptation ab; häufig mit dem Ergebnis, dass Adaptationsmassnahmen kein sinnvoller Ersatz für Klimapolitik ist.
Jedes politisch gesetzte Ziel ist eine politische Forderung. Der Punkt des Beitrags ist, dass die vorliegende Forderung durchaus (d.h. je nach ethischer Perspektive) im Bereich wissenschafltich empfehlenswerter Ziele ist.
Herr Häring, ich habe Ihren Kommentar dreimal gelesen, aber ich verstehe ihn immer noch nicht. Sie sagen, dass ohne die Analyse einer Extremforderung, die Sie offenbar ablehnen, eine Analyse der effektiven Politikmassnahmen in der Schweiz keinen Sinn macht. Man kann also keine reale Politik diskutieren, ohne gleichzeitig irgendwelche Extremforderungen zu untersuchen? Sie sagen in Ihrem Kommentar nicht, wie Sie auf diese fast schon abenteuerliche Schlussfolgerung kommen. Aus Ihrer Abneigung gegen die sofort-netto-Null-Variante, die hierzulande niemand ernsthaft diskutiert, lässt sich eigentlich genau das Gegenteil herleiten: Es braucht Studien mit Augenmass wie diejenigen, die Frank Krysiak hier diskutiert, keine Extremforderungen. Alles andere als Makulatur also.
Es geht um die Wirkung. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens, wie schnell wirkt eine Massnahme. Es macht ökonomisch einen Unterschied, ob eine Massnahme in zehn Jahren oder erst in hundert Jahren wirkt. Deshalb meine Bemerkung zur Adaptation. Zur Abschätzung der Wirkung braucht es aber zwei Eckpunkte. Den business as usual case, den wir zu kennen glauben, und den Null-Emissionen Verlauf, der uns die Klimawissenschaft nicht liefert. Interpolieren mit einem Punkt ist bekanntlich nicht möglich.
Zweitens geht es um die Fokussierung auf THG-Reduktion, also die nahezu wahnhafte Fokussierung auf ein Klimaziel unter Ausblendung der Umwelt (Stichworte: ineffiziente Energietechnologien, Ressourcenverschleiss, Landschaftszerstörung), also Ausblendung von Kollateralschäden.
Dekarbonisierung braucht technischen Fortschritt, d.h. Technologien, welche besser und günstiger sind als fossile Verbrennung und sich im Markt bewähren. Nur dann wirken sie auch weit über die Schweiz hinaus. Politische Massnahmen, die den bevorzugten technischen Weg vorgeben und auf einem einseitigen Drohszenario aufbauen, sind da nicht hilfreich. Technischer Fortschritt und Innovation ist, wie die Geschichte belegt, in einen freiheitlichen System am ehesten gewährleistet. Nicht mit einem politisch vorgegebenen Korsett, das sich nur ein reiches Land leisten kann und deshalb nie globale Wirkung haben kann.
Das Gesagte widerspricht nicht einem Emissionshandel, nur muss der global anwendbar gestaltet sein.
Prima, wenn alle anderen Ländern der Schweiz unverzüglich und ohne Unterschiede im Ausmass folgen. Makulatur unter allen anderen Umständen.
Dem Autor sei Henry Hazlitts “Economics in One Lesson” sehr empfohlen.
Die Schweiz ist bei weitem nicht das einzige Land mit aktiver Klimapolitik; die Ziele z.B. der EU sind auch ähnlich anspruchsvoll. Es ist für eine erfolgreiche Klimapolitik weder notwendig noch sinnvoll, dass alle Länder in gleichem Ausmass ihre Emissionen reduzieren.
Trotzdem eine Rückfrage: Wenn ein Land mit hohem Pro-Kopf-Einkommen und recht innovativen Unternehmen nicht bereit ist THG-Emissionen zu reduzieren, wie kann dies dann von anderen Ländern erwartet werden?
P.S. Herrn Saurer sei das im Blog erwähnte Paper von W. Nordhaus (seine Nobel Prize Lecture) empfohlen. Ist etwas aktueller und tiergehender als Hazlitt und diskutiert die Frage internationaler Kooperation ausführlich.