Zinsen, Geldpolitik und Demographie

In den letzten zehn Jahren beobachten wir in der Schweiz – genau wie in anderen entwickelten Volkswirtschaften – ein extrem niedriges nominales Zinsniveau mit Werten von nahe Null. Diese Situation ist historisch singulär und es stellt sich die Frage nach den Ursachen.  

Abbildung 1 zeigt den Verlauf der Rendite von Bundesanleihen mit fünfjähriger Restlaufzeit und den Verlauf der Inflationsrate seit den späten achtziger Jahren. Ab 1992 beginnen die Nominalrenditen und die Inflationsraten zu sinken. Die beiden Kurven bewegen sich während Jahren mit einem Abstand von rund zwei Prozent.

Seit der Finanzkrise von 2007/09 können wir jedoch beobachten, dass dieser «übliche» Abstand zwischen Zins und Inflation verschwindet und sich ein Realzinsniveau von Null oder gar leicht darunter einstellt.

Abbildung 1

Als erste Erklärung für diesen Verlauf bietet sich die extrem expansive Geldpolitik der international bedeutenden Zentralbanken seit der Finanzkrise an, die aus verschiedenen Gründen zu keinem Anstieg der Inflationsrate führte. Daneben gibt es aber auch gewichtige «reale» Ursachen für dieses Phänomen.

Zum einen ist der Bevölkerungsanteil im „sparintensiven“ mittleren Alter (40-64), seit Ende der 1980er Jahre weltweit stark gewachsen. Dies hatte eine Zunahme der Spartätigkeit zur Folge, während die Investitionsneigung vor allem seit der jüngsten Finanzkrise relativ gering blieb. Zudem wurde mit China ein Land das besonders hohe Sparüberschüsse aufweist, schrittweise in die Weltwirtschaft integriert.

Gleichzeitig generierte in den letzten Jahren die angesichts der Finanzkrise erhöhte Nachfrage nach «risikolosen» Anlagen zusätzlichen Druck auf reale Renditen von Staatsanleihen, insbesondere auf die Staatsanleihen der Länder mit international bedeutenden Finanzmärkten.

Abbildung 2 gibt uns erste Hinweise auf die Relevanz der Faktoren «Demographie» und Geldpolitik.

Abbildung 2

Die Graphik zeigt uns einerseits das Verhältnis von SNB-Bilanzsumme zum BIP (rechte Skala) und den Anteil der 40 bis 64-jährigen an der CH-Wohnbevölkerung (linke Skala, in Prozent). Offensichtlich sind beide Grössen bis 2018 bzw. 2012 stark gewachsen. Beide hatten vermutlich einen starken negativen Einfluss auf das Zinsniveau.

In der Tat lässt sich dieser Zusammenhang auch ökonometrisch erhärten. Dabei zeigt sich, dass die Obligationenrendite und Inflationsrate einerseits, sowie der Anteil der mittleren Altersgruppe und Bilanzsummen-BIP-Verhältnis andererseits in einer systematischen Beziehung stehen (technisch gesprochen sind sie «kointegriert»).

Tatsächlich war der dramatische Anstieg der SNB-Bilanzsumme vom historisch üblichen Niveau zwischen 0.2 und 0.3 des BIP auf den 1.2-fachen BIP Wert mit einer Zinsreduktion von 2 .4% verbunden. Ähnliches gilt für die Demographie: Der Anstieg des Anteils der mittleren Altersgruppe von 30 auf 35 Prozent äussert sich in einem um 1.9% niedrigeren Zinsniveau.

Hätten wir noch heute dieselben geldpolitischen und demographischen Bedingungen wie in den frühen 1990er Jahre würde unser Nominalzinsniveau (bei aktuellem Inflationsstand) rund 4% höher ausfallen. Da die Zinsentwicklung in der Schweiz zu einem hohen Grad (zu ca. 60-80%) vom Ausland her bestimmt ist, ist es für unsere Analyse entscheidend, dass in allen relevanten Ländern im betrachteten Zeitraum ähnliche geldpolitischen und demographische Bedingungen vorlagen.

Abschliessend wollen wir noch einen Blick in die Zukunft wagen. Das ist relativ einfach für die Demographie: Die heute schon sinkende Tendenz des Anteils der mittleren Altersgruppe wird sich weiter fortsetzen. Bis 2040 können wir eine Reduktion um ca. 3% dieser Grösse erwarten, was mit einem Zinsanstieg von ca. 1.2 % verbunden ist.

Schwieriger ist die Einschätzung des geldpolitischen Indikators: Die Normalisierung des SNB-Bilanz-BIP Verhältnisses kann durch Bilanzabbau oder Inflationierung des nominellen BIPs erfolgen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die SNB diese Grösse nicht langfristig kontrollieren kann, da sie wesentlich durch das internationale Umfeld geprägt wird.

Als Konsequenz der Corona-Krise ist kein Bilanzabbau, sondern das Gegenteil zu erwarten. Kurzfristig lassen sich bisher noch keine Zeichen von Inflation ausmachen und somit müssen wir noch einige Zeit mit sehr niedrigen Zinssätzen rechnen. Längerfristig sind aber wegen des Liquiditätsüberhangs durchaus höhere Inflationsraten und damit höhere Nominal- und Realzinsen zu erwarten. Allerdings ist das exakte «Timing» dieses Prozesses kaum zu prognostizieren.

2 Kommentare

  1. Als anfangs der Siebzigerjahre das System der fixen Wechselkurse zusammenbrach kostete ein US-Dollar 4,32 Schweizerfranken – heute noch 91 Rappen. Als der Euro am 1.1.2002 Fahrt aufnahm war er 1,48 Franken wert – heute 1,08 Franken. Der stetig steigende Schweizerfrankenkurs hat zur Folge, dass der Druck auf das Zinsniveau in der Schweiz deutlich höher ist als in den meisten andern Industriestaaten und sich negative Zinsen währungspolitisch immer weniger vermeiden lassen. – Es lohnt sich daher immer mehr, Bargeld zu horten (vor allem Tausendernoten). – Welche Politik soll die Schweizerische Nationalbank angesichts dieser Entwicklung betreiben? – Für eine gewisse kontrollierbare Inflation sorgen? – Bargeld (vor allem die Tausendernote) abschaffen? – Rel. häufig neue Banknoten herausgeben und die alten ungültig erklären (und damit das Horten von Bargeld riskanter machen)? – Alles schwer realisierbare Massnahmen. Die Nationalbank steht vor grossen Herausforderungen und Problem! –

  2. 1. Ich habe nicht verstanden weshalb es aufgrund des Liquiditätsüberhangs zu einer Konsumpreisinflation langfristig kommen soll. Dafür wäre es doch notwendig, dass dieser Liquiditätsüberhang in den Konsum geht und zusätzlich, dass die Produktionskapazitäten ausgelastet sind, so dass die Preise der nachgefragten Güter steigen. Dies scheint aber beides nicht der Fall zu sein. Der Liquiditätsüberhang wird in Assets investiert, weshalb wir seit langem eine Assetpreisinflation sehen der Aufbau neuer Produktionskapazitäten für höhere Nachfrage ist sehr schnell möglich.
    2. Ich habe gelernt, dass das Zinsniveau sich im 700 Jahre Blick kontinuierlich senkt: https://www.visualcapitalist.com/700-year-decline-of-interest-rates/
    3. Gibt es einen Grund, weshalb es einen risikofreien Zinssatz über 0 geben sollte? Dass Konsumverzicht belohnt werden soll stimmt ja nicht mehr. Wenn Bill Gates seinen Reichtum nicht konsumiert, wieso sollte das belohnt werden? Im Gegenteil, das Speichern von Vermögen sollte Geld kosten, d.h. der risikofreie Zinssatz sollte negativ sein.
    4. Short in supply sind gute Ideen und gute Ventures – aber nicht dummes Geld, deshalb sollten und verdienen gute Ventures einen guten Return, dummes Geld (risikofreie Geldanlage) aber nicht.

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