Co-Autor, Sebastian Schäfers
Corona hat die Welt noch immer fest im Griff, mit den neuen Virusmutationen befürchten wir, dass eine dritte Welle heranrollt. Der einzige Hoffnungsschimmer am sonst so dunklen Horizont ist der im Schnelltempo entwickelte und zugelassene Impfstoff.
Aber kaum ist der Impfstoff da, geht’s auch schon um die Verteilung: Wer kriegt wieviel zu welchem Preis? Dabei ist die Sorge berechtigt, dass zuerst die Reichen beliefert werden und die Armen das Nachsehen haben. Bereits haben erste Meldungen über prioritäre Impfungen von einflussreichen Privatpersonen noch vor dem offiziellen Impfstart die Öffentlichkeit verärgert (https://www.nzz.ch/schweiz/ein-milliardaer-aus-suedafrika-wird-im-thurgau-geimpft-vor-allen-andern-ld.1597777).
Hilfsorganisationen warnen, dass die Impfung die Pandemie nicht aufhalten könne, wenn die Finanzkraft einer Bevölkerungsgruppe oder eines Landes darüber entscheidet, wer zuerst den Schutz vor dem Coronavirus erhält. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung von ärmeren Ländern müsse nämlich geimpft werden, damit das Virus in einer global vernetzten Welt nicht weiter grassieren könne. Die Realität sieht leider anders aus. Während im Jahr 2021 vermutlich höchstens einer von zehn Einwohnern in armen Ländern gegen Corona geimpft werden kann, verfügt zum Beispiel das reiche Kanada über genügend Vorrat, um seine Bevölkerung fünfmal durchzuimpfen. (https://www.zeit.de/2021/01/corona-impfstoff-pharmaindustrie-logistik-reichtum-armut)
Geplante Vermarktung der Corona Impfung an Privatkunden in Indien – ein Skandal?
Mitten in die Debatte über die gerechte Verteilung des Impfstoffs platzte eine Aussage des CEO des Serum Institute of India, dem grössten Impfstoffhersteller weltweit, und löste Kopfschütteln aus: Adar Poonawalla will den begehrten Impfstoff nicht nur an die indische Regierung verkaufen, sondern möglichst bald auch an private Interessenten – zu einem höheren Preis (zu umgerechnet bis zu 13 US Dollar pro Impfdosis anstatt die 3 Dollar, die die Regierungsbehörden bezahlen). 3 Dollar, so Poonawalla weiter, sei der kostendeckende Preis für den Impfstoff (AstraZeneca und Universität Oxford), und dies bedeute, dass das Serum Institute mit den ersten Impfdosen, die direkt an die indische Regierung gehen, kaum Gewinn mache (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/indien-impfstoff-serum-institute-corona-101.html).
Was auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, kann aber aus einer ökonomischen Sicht durchaus sinnvoll sein. Einem Unternehmen, das unterschiedliche Preise für unterschiedliche Kundengruppen festlegt—im Fachjargon Preisdiskriminierung dritten Grades genannt—das Hochpreissegment zu entziehen garantiert nämlich weder niedrige Preise für die finanziell Schwächeren noch eine Wohlfahrtssteigerung. Im Gegenteil: Nimmt man einem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit unterschiedliche Marktsegmente zu unterschiedlichen Preisen zu bedienen wird es den Preis für Alle erhöhen müssen, um langfristig Gewinn machen zu können. Der Preis des Impfstoffes würde also ansteigen, und dadurch würden ärmere Länder oder Bevölkerungsgruppen (noch mehr) benachteiligt. Im Extremfall wäre es sogar denkbar, dass das Unternehmen sein nicht gewinnbringendes Angebot ganz einstellt.
Wie sieht das denn bei anderen Impfstoffen aus?
Impfstoffe zu unterschiedlichen Preisen für unterschiedliche Käufer ist nichts Neues. Impfungen gegen Kinderkrankheiten (Diphtherie, Starrkrampf und Keuchhusten; Masern, Mumps und Röteln; Polio; Hepatitis B etc.), zum Beispiel, werden zu substantiell niedrigeren Preisen an die Käufer aus dem öffentlichen Sektor verkauft als an die Käufer des privaten Sektors. Diesen Preisunterschieden können verschiedene Mechanismen zu Grunde liegen[1]: Erstens, die Impfstoffhersteller haben weniger Kosten, wenn sie an den öffentlichen Sektor verkaufen, da dieser den Impfstoff in grossen Mengen kauft und oftmals explizit darauf verzichtet nicht benötigte Impfdosen zurückzuschicken. Zweitens, die Regierungen und Käufergruppen wie UNICEF und PAHO sind die grössten und wichtigsten Impfstoffabnehmer und können in den Verhandlungen erfolgreich die Preise drücken. Drittens, die marktbeherrschenden Impfstoffhersteller praktizieren Preisdiskriminierung dritten Grades. Hierbei ist es gewinnmaximierend für den Hersteller die Preise so zu strukturieren, dass der Markt mit der relativ Preis-inelastischen Nachfrage zu einem hohen Preis kauft, während der Markt mit der Preis-elastischen Nachfrage einen niedrigeren Preis zahlen muss. Da Preis-Elastizität typischerweise mit dem Einkommen der Konsumenten negativ korreliert ist, bedeutet dies niedrigere Preise für die Armen.
Für eine politische Handlungsempfehlung ist es relevant welcher der drei Kanäle die unterschiedlichen Preise der Impfstoffe erklärt. Denn würden die unterschiedlichen Kosten oder die unterschiedlich grosse Verhandlungsmacht der Käufer die Preisdifferenzierung verursachen, dann wäre es wohlfahrtssteigernd, wenn die Hersteller nur an den öffentlichen und nicht an den privaten Sektor verkaufen könnten. Ist aber die Preisstrategie des Herstellers der Grund für die Unterschiede, dann kann der Entzug des lukrativen privaten Marktes mit hohen Preisen auch dazu führen, dass der Preis dann schliesslich auf dem öffentlichen Markt mit der Preis-elastischen Nachfrage steigt.
Welche der drei Erklärungen für die unterschiedlichen Preise bei Impfstoffen verantwortlich ist, ist in der ökonomischen Forschung nicht abschliessend geklärt. Eine Kombination von Preisdiskriminierung und Verhandlungsmacht scheint wahrscheinlich.[2]
Grundsätzlich
Während eine Vermarktung des Impfstoffes an private Interessenten zu höheren Preisen also durchaus positive Effekte auf den Zugang von finanziell Schwächeren zum Impfstoff haben kann, ist eine Bevorteilung von gewissen Bevölkerungsgruppen oder auch einzelnen Individuen, wie wir sie kürzlich in der Schweiz gesehen haben, nicht zielführend.
Ein wesentlicher Aspekt, welcher in der obigen Anschauung des Problems ausgeklammert wurde, sind Kapazitätsengpässe, wie wir sie aktuell in der Corona-Impfherstellung erleben. Diese Engpässe und die Importabhängigkeit vieler Länder, welchen den Impfstoff nicht selber herstellen, können dazu führen, dass Impfdosen, welche für das Tiefpreissegment bestimmt sind, in Hochpreissegmente umgeleitet werden, und reiche Nationen diesen Impfstoff horten. Dann kann die Versorgung der ärmeren Bevölkerungsgruppen nicht mehr sichergestellt werden, was verheerende Auswirkungen hätte. Um dies zu verhindern müssen wirkungsvolle Massnahmen ergriffen werden, wie sie beispielsweise unter dem TRIPS Abkommen vorgesehen sind.
[1] Kauf, Teresa L. “Price discrimination and bargaining power in the US vaccine market: Implications for childhood immunization policy.” The Quarterly Review of Economics and Finance 39.2 (1999): 249-265.
[2] Li, Linda. Price discrimination and bargaining power in the global vaccine market. Diss. Duke University Durham, 2013.
Verry creative post
Ich habe etwas grundlegendes nicht verstanden:
Weshalb ist es moralisch, mit gesundheitszerstörenden Produkten, die der Allgemeinheit beträchtliche Kosten aufbürden wie: Alkoholika, Zigaretten, Süssgetränken wie z.B. Coca Cola, suchterzeugenden Computerspielen, Pornowebseiten … Geld zu verdienen, aber mit Impfstoffen, die einen Nutzen für die Öffentlichkeit stiften nicht?
Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass ein Teil der Risikogruppe von Corona, sich durch den Konsum obiger Produkte selber zu Mitgliedern der Risikogruppe gemacht haben.