Stau, die negativen Auswirkungen des Klimawandels und die gesundheitlichen Auswirkungen von Verkehrsemissionen und Unfällen haben eine Gemeinsamkeit: Sie stellen externe Effekte oder externe Kosten des Verkehrs dar. Während die Verkehrsteilnehmer die privaten Kosten des Verkehrs tragen, die sich u.a. in den Preisen für Treibstoff, Fahrkarten, Fahrzeugkauf und -unterhalt niederschlagen, werden die externen Kosten von der Gesellschaft insgesamt getragen. Externe Kosten haben somit typischerweise keinen Einfluss auf die private Entscheidung, wo, wann und wie jemand reist. Dies führt zu einem Marktversagen, das einen Bedarf an politischen Interventionen über den bestehenden Regulierungsrahmen hinaus impliziert.
Im kürzlich abgeschlossenen Projekt Mobilität in der Schweiz (MOBIS) untersuchen wir die Wirkung eines Pigovian Transport Pricings in der Schweiz, d.h. die personalisierte Bepreisung aller externer Kosten im Verkehr. MOBIS ist ein gemeinsames Projekt von Forschern der Universität Basel, der ETH Zürich und der ZHAW Winterthur und wurde ko-finanziert von Innosuisse und dem UVEK.
Die Idee der Internalisierung der externen Kosten ist schon über ein Jahrhundert alt und geht zurück auf Arthur Pigou (1877-1959). Die Internalisierung der externen Kosten ist auch bekannt unter dem Begriff des Verursacherprinzips. Sie führt zur theoretisch optimalen Menge an Verkehr über Raum und Zeit und somit zu einer effizienten Nutzung des bestehenden Verkehrssystems. Partielle Implementierungen von Transport Pricing nehmen weltweit zu, z.B. in Form von Stau-Pricing in Singapur, London, Stockholm oder als Road Pricing auf europäischen Autobahnen. Das MOBIS-Projekt geht einen Schritt weiter und testet die Wirkung eines multi-modalen Pricings in einem Feldexperiment in den Ballungsräumen der Romandie und der Deutschschweiz. Es ist das bis anhin grösste und umfassendste Pricing-Experiment im Verkehrssektor.
Abbildung 1

Abbildung 1 zeigt den Ablauf und die Struktur des Projekts. In einer ersten Phase wurden alle Teilnehmer während vier Wochen in ihrem Verkehrsverhalten beobachtet. Anschliessend wurden sie zufällig den Interventionen “Pricing” oder “Information” oder einer Kontrollgruppe zugeteilt. Der Kern des Experiments folgte in den nächsten vier Wochen, während derer die zugeteilten Informationen und/oder Preise ihre Wirkung auf je ein Drittel der Teilnehmer entwickelten. Mithilfe der anfänglichen Beobachtungsphase konnte diese Wirkung durch einen Difference-in-Differences-Ansatz unabhängig von saisonalen und anderen Einflüssen gemessen werden. Geeignete Teilnehmer wurden im Rahmen einer ersten repräsentativen Befragung identifiziert und eingeladen. Die regelmässige Nutzung eines Autos (an mindestens zwei Tagen pro Woche) war eine Bedingung für die Teilnahme an der Studie. Am Ende wurde allen Probanden eine Anreizzahlung von CHF 100 überwiesen.
Nach der Beobachtungsphase erhielt die Informations-Gruppe regelmässige Informationen über die monetarisierten externen Kosten, die ihr Verhalten verursacht hatte, aber ohne finanzielle Konsequenzen für sie. Die Pricing-Gruppe erhielt dieselben Informationen und zusätzlich ein Budget, von dem die durch sie verursachten externen Kosten abzogen wurden. Als Anreiz die externen Kosten ihres Verkehrsverhaltens zu senken, durfte diese Gruppe den nicht ausgegebenen Teil des Budgets behalten.
Abbildung 2

Im Durchschnitt reduzierten die Befragten in der Pricing-Gruppe ihre externen Kosten des Verkehrs um 5.1 % relativ zur Kontrollgruppe (Abbildung 2). Dieser Effekt ist statistisch hoch signifikant und entspricht einer Elastizität von -0,31 (berechnet mittels der Erhöhung der Gesamtkosten, welche durch das Pricing um 16.4% zunahmen). Information ohne Pricing scheint einen Effekt zu haben, aber er ist geringer und statistisch nicht signifikant. Die Abbildung zeigt auch den differentiellen Effekt zwischen den beiden Interventionen, d.h. den kausalen Effekt der Hinzunahme von Pricing, zusätzlich zu bestehenden Informationen über die externen Kosten des Verkehrs. Der Effekt ist signifikant für Stau, aber nicht für die externen Gesundheits- und Klimakosten. Insgesamt zeigen die Resultate, dass Transport Pricing eine Wirkung hat und dass Information zwar wichtig ist, für sich alleine genommen aber nicht zu einer signifikanten Veränderung des Verhaltens führt.
Der Effekt des Pricings ist in der Stichprobe relativ homogen in Bezug auf die wichtigsten soziodemografischen Merkmale, mit zwei Ausnahmen: Der Effekt war stärker bei Männern als bei Frauen, und er war nicht statistisch signifikant für die französischsprachigen Teilnehmer. Darüber hinaus fanden wir, dass der Effekt hauptsächlich von der Hälfte der Teilnehmer erzeugt wurde, welche unsere Definition der externen Kosten korrekt verstanden hatten (diese Information wurde in der Abschlussbefragung erhoben). Diese Probanden reagierten doppelt so stark auf die Preisbehandlung, während diejenigen, die den Begriff der externen Kosten nicht richtig einordnen konnten, überhaupt nicht auf das Pricing reagierten.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie wir unsere externen Verkehrskosten reduzieren können. Das Pricing führte nicht zu einer signifikanten Verringerung der täglichen Gesamtdistanz, aber wir beobachteten eine Reduktion der täglichen Distanz mit dem Auto, die durch eine Zunahme des öffentlichen Verkehrs sowie des Radfahrens und des Zufussgehens ausgeglichen wird (Abbildung 3). Die Bepreisung reduzierte auch die Staukosten pro Pkw-Kilometer signifikant, was bedeutet, dass die Verkehrsmittelverlagerung nicht der einzige Mechanismus ist, der für die Reduzierung der externen Kosten verantwortlich ist. Wir sehen eine signifikante Verschiebung der Abfahrtszeiten für Autofahrten in den morgendlichen Spitzenzeiten, aber nicht in den Abendstunden. Im Gegensatz dazu gab es keine Verringerung der Auslastung im öffentlichen Verkehr.
Abbildung 3

Die praktische Umsetzung eines Verkehrs-Pricings stellt eine Herausforderung dar nicht nur in Bezug auf den Datenschutz, sondern auch auf die soziale Akzeptanz. In der Anfangsumfrage haben wir drei Fragen bezüglich der Präferenzen hinsichtlich einer möglichen Einführung von Verkehrs-Pricing gestellt. Die Fragen zielten auf das gleiche Konzept ab, waren aber unterschiedlich formuliert. Eine Mehrheit der Befragten war entweder positiv oder neutral eingestellt, wenn die Frage mit Bezug zu den sozialen Kosten oder zur Bepreisung von Externalitäten formuliert war (Abbildung 4). Wenn jedoch der Fokus der Frage auf die zeitlich variierende Natur dieses Pricings gelegt wurde aber der soziale Aspekt nicht erwähnt wurde, war eine Mehrheit dagegen. Dies deutet darauf hin, dass die Bepreisung des Verkehrs prinzipiell eine politische Mehrheit finden könnte, dass es aber davon abhängt, wie über das Bepreisungssystem kommuniziert wird.
Abbildung 4

Da das Bepreisungssystem im Experiment darin bestand, einem gegebenen Budget Geld zu entziehen, könnte die Verlustaversion den Effekt im Vergleich zu einer Steuer erhöht haben. Andererseits gibt es eine Reihe von Argumenten, die langfristig grössere Effekte erwarten lassen als in diesem achtwöchigen Experiment. Bei einer dauerhaften Einführung von Verkehrs-Pricing würden zusätzliche Verhaltensanpassungen möglich, wie z.B. die Wahl des Arbeits- und Wohnortes, Kaufentscheidungen über Fahrzeugen/Abonnements oder Verhandlungen mit Arbeitgebern über Arbeitszeiten. Darüber hinaus beschränkte sich die Verhaltensänderung auf Befragte, die das dem Experiment zugrundeliegende Konzept der externen Kosten verstanden hatten. Während bei einer Kurzstudie zu erwarten ist, dass nicht jeder auf die “Regeln” achtet, würde eine Einführung von Verkehrs-Pricing mit der Zeit jedoch von allen verstanden werden.
Die multimodale Gestaltung bepreist die externen Kosten über alle Verkehrsträger hinweg in gleicher Weise. Die erforderliche Technologie ist verfügbar, und eine Reihe von Ländern hat die externen Kosten des Verkehrs innerhalb ihrer Grenzen berechnet. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die Lebens-, Arbeits- und Reisemuster veränderbar sind. Wir würden erwarten, dass die Menschen auf die Preisanreize in ähnlicher, wenn auch weniger dramatischer Weise reagieren werden. Darüber hinaus ist eine Abkehr vom derzeitigen Finanzierungsmechanismus für den Verkehr, der sich hauptsächlich auf Treibstoffsteuern stützt, aufgrund von Verschiebungen bei den Verkehrsträgern, Treibstoffarten und Fahrzeugtechnologien unvermeidlich. Pigovian Transport Pricing ist ein alternativer Finanzierungsmechanismus, der auch mit einer wachsenden Elektrofahrzeugflotte implementiert werden kann.
Ein Pricing, wie es im MOBIS-Experiment verwendet wurde, würde bei der praktischen Umsetzung vor einer Reihe von Herausforderungen stehen, darunter Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, sozialer Akzeptanz und technischen Beschränkungen bei der Erhebung des Preises auf Echtzeitbasis. Allerdings sollte sich auch ein vereinfachtes Preissystem an den externen Grenzkosten des Verkehrs orientieren, um die Effizienz des Verkehrssystems zu erhöhen. Eine zentrale Herausforderung wird darin bestehen, sich innerhalb des politischen Prozesses auf die Preisgestaltung zu einigen. Das von uns implementierte Verkehrs-Pricing ist zudem leicht regressiv, Personen mit tieferen Einkommen bezahlen proportional mehr (ähnlich wie bei der Mineralölsteuer). Dieses Problem könnte durch zusätzliche Massnahmen entschärft werden, z.B. einer gezielten Rückverteilung der generierten Einnahmen. Prinzipiell könnte jedoch eine Bepreisung des Verkehrs nach Pigou in der Schweiz politisch umsetzbar sein. Dazu bräuchte es zuerst eine Reihe von grösseren Pilotprojekten zu Mobility-Pricing, wie sie in einem Bundesgesetzentwurf auch vorgesehen wären. Dieser Vorschlag wird momentan vom Bundesrat aber leider blockiert. Obwohl es höchste Zeit wäre zu handeln.
Natürlich haben Sie recht mit der Regressivität. Aber wir wollen keine Nägel mit Schraubenziehern einschlagen, wenn wir einen Hammer zur Verfügung haben. Individuelles cap-and-trade im Verkehr ist viel weniger praktisch für Umverteilung als das allgemeine Steuersystem. Zudem trifft Ihr Argument auch auf alle anderen Dinge zu. Die unteren Einkommensschichten zahlen proportional auch mehr Mehrwertsteuern, und sie geben mehr aus für Nahrungsmittel. Aber wir finden ja trotzdem nicht, dass man an der Migros-Kasse die Steuererklärung zeigen soll. Ich würde das Verteilungsproblem mit einer geeigneten Rückerstattung lösen, das ist viel einfacher.
Bzgl. Komplexität individuelles cap and Trade stimme ich zu 100% zu. Der Vergleich mit der MWST oder der Migroskasse zieht nicht, CO2 und Methan etc sind Externalitäten, die gecapt gehören und deshalb sollte jedem Bürger nur eine begrenzte Menge zur Verfügung stehen. Es gibt also Gründe jenseits der sozialen Frage, die für ein solches Vorgehen sprechen.
Schwierig wird ein solcher Gedanke für Industrieländer, wenn ich ihn global denke.
Es gibt im Verkehr Sachverhalte, die (a) sowohl private als auch externe Kosten verursachen (z.B. Stau, Verkehrsunfälle) und Sachverhalte, die (b) ausschliesslich externe Kosten zur Folge haben (z.B. Auswirkungen des Verkehrs auf den Klimawandel, die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung). a-Sachverhalte haben durchaus einen (vielleicht zu geringen) Einfluss auf die private Entscheidung, wo, wann und wie jemand reist.
Wenn man über Pricing von CO2 Ausstoss nachdenkt, heisst dies im Allgemeinen, dass jeder Verbraucher den gleichen Preis für CO2 zu einem Zeitpunkt zahlen soll und der Preis sich über einen Marktmechanismus bildet bei begrenzter CO2 Menge. Dieses ist sozial ungerecht und führt dazu, dass schlechte Verdienende anteilig mehr für CO2 bezahlen müssen als gut Verdienende.
Wie wäre es mit einem anderen Mechanismus: Jeder Bürger hat das Recht kostenfrei eine bestimmte Menge an CO2 zu verbrauchen. Wer mehr CO2 verbrauchen möchte, muss sich diese Menge bei anderen Bürgern einkaufen. SUV Fahrer, Flugreisende wären damit gezwungen sich Ihre CO2 Mengen bei Fahrradfahrern einzukaufen.
Ein solches Vorgehen wäre aus meiner Sicht sozial viel ausgereifter.