Bettenüberlastung und Sterblichkeit in Schweizer Spitälern: Der ökonomische Check

Eine Studie aus den Pflegewissenschaften der Universität Basel, die in BMC Health Services Research publiziert worden ist, sorgte kürzlich für nicht geringes Aufsehen. Die Autoren berichten darin, dass die Sterblichkeit in Schweizer Spitälern um zwei Prozent höher liege, falls die Betten zu mehr als 85 Prozent ausgelastet sind. Die Meldung erschien zunächst als News der Universität und wurde anschliessend von Zeitungen und Radio breit aufgegriffen und mit gleichem Tenor unters Volk gebracht. Die (reiche) Schweiz könnte Todesfälle vermeiden, würde sie ihre Spitäler grosszügiger ausstatten. Die Frage ist nur, ob sich eine solche Massnahme auch rechnen würde.

Der Leiter der Studie, Prof. Dr. Michael Simon, forderte, das Problem müsse politisch angegangen werden, indem die Auslastungsschwankungen verringert und die Spitäler angemessen mit Personal ausgestattet werden. Zu den Kosten einer solchen Politik äusserte er sich nicht. Die Studie gibt auch keinen direkten Aufschluss darüber, was eine um zwei Prozent erhöhte Sterblichkeit für die Anzahl Todesfälle bedeutet. Nicht die relativen, sondern die absoluten Grössen sind für Kosten-Nutzen-Überlegungen entscheidend. Das Fehlen von absoluten Zahlen für die Wirksamkeit von medizinischen Interventionen ist übrigens ein notorisches Problem in der medizinischen Literatur. Was als grosse prozentuale Verbesserung daherkommt, entpuppt sich nicht selten in absoluten Zahlen als kleine Änderung.

Die publizierten Resultate erlauben es aber zum Glück, die Todesfälle einer (zu) hohen Bettenauslastung abzuschätzen. Untersucht wurden 1.15 Mio. stationäre Behandlungen in 102 Allgemeinen Spitälern der Schweiz in den Jahren 2012 bis 2017. In 17 229 Fällen verstarben die Patienten während des Spitalaufenthalts. Dies entspricht einer Sterblichkeit von 1.49 Prozent. Die Studie präsentiert ihre Ergebnisse mit der Chancenfunktion (hier dem Quotienten aus Sterbe- und Überlebenswahrscheinlichkeit). Diese stieg von 1.52 Prozent (= 1.49% / (1–1.49%)) pro Tag um den Faktor 1.02 auf 1.55 Prozent, falls die Bettenauslastung während des Spitalaufenthalts 85 oder mehr Prozent betrug. Das bedeutet ein Verlust von 339 Personen im Zeitraum von 6 Jahren, also rund 57 Personen pro Jahr.

Die Auslastung der Spitäler hängt entscheidend von deren Grösse ab. In den Universitätsspitälern liegt der Median der Bettenauslastung bei 89.3 Prozent, in Zentrumsspitälern bei 79.5 Prozent. In kleinen Spitälern mit nicht mehr als 3000 Behandlungen pro Jahr ist die Auslastung während der Behandlung in 50 Prozent der Fälle dagegen nur bei 59.1 Prozent. In 18.6 Prozent aller Pflegetage waren die Betten gemäss Studie zu mehr als 85 Prozent ausgelastet. Bei kleineren Häusern kommt dies naturgemäss häufiger vor. Denn das Gesetz der grossen Zahl bedeutet, dass die Streuung der Anzahl täglicher Patientenaufnahmen in den kleinen höher als in den grossen Spitälern ist. Dies ist besonders bei den Notfalleintritten der Fall, wie die Abbildung zeigt. Die Werte sind logarithmiert, damit der grafische Verlauf bei den vielen kleinen und mittleren Spitälern besser zum Tragen kommt. Vertikal abgebildet ist der Variationskoeffizient der täglichen Eintritte im Jahresverlauf. Es ist ein stark negativer Zusammenhang zwischen der Spitalgrösse gemessen mit der Anzahl Notfalleintritte pro Jahr und deren statistischen Unsicherheit zu erkennen. Die kleinen Spitäler weisen Werte um die 5.5 auf. Dies bedeutet, dass die Standardabweichung der täglichen Eintritte den Mittelwert um das 5.5-fache übersteigt. Bei den mittel- und grossen Spitälern fällt der Wert rasch und markant unter 1. Die Unsicherheit bezüglich der täglichen Notfalleintritte ist in diesen Häusern relativ klein und die Nachfrage daher wesentlich besser planbar als bei den kleineren Spitälern. Entsprechend müssen weniger Reservekapazitäten vorgehalten werden, um ein bestimmtes Sicherheitsniveau erreichen zu können.

Abbildung: Streuung der Notfalleintritte und Spitalgrösse

Quelle: Medizinische Statistik der Krankenhäuser (2018), eigene Berechnung

Die Wahrscheinlichkeit einer Bettenauslastung über 85 Prozent liesse sich über eine Erhöhung der Spitalkapazitäten einschliesslich Personaleinsatz reduzieren. Machen wir die Rechnung für einen Bettenausbau um 15 Prozent. Dies würde deren durchschnittliche Auslastung von aktuell 80.5 Prozent (2021) auf 70 Prozent senken. Bei rund 950 000 jährlich in Allgemeinen Spitälern der Schweiz stationär mit Kosten von durchschnittlich 11 000 Franken behandelten Patienten und Patientinnen würden sich die zusätzlichen Kosten auf 1.57 Mrd. Franken pro Jahr belaufen. Den Nutzen einer solchen Investition können wir mit Hilfe des Wertes eines statistischen Lebensjahres abschätzen, den das Schweizer Bundesgericht vor 10 Jahren in einem Fall, bei dem es um die Erstattung eines Medikamentes ging, auf 100 000 Franken ansetzte. Das Durchschnittsalter von Spitalpatienten und –patientinnen liegt bei 54 Jahren. Setzen wir die restliche Lebenserwartung für 54-Jährige von 30 Jahren an, so würden sich Kosten und Nutzen einer Reduktion der durchschnittlichen Spitalauslastung um 15 Prozent ausgleichen, falls damit 523 Leben pro Jahr gerettet werden könnten.

Beziehen wir die Studienergebnisse auf 950 000 jährliche Spitalbehandlungen, so verursacht ein Schwellenwert von 85 Prozent Bettenauslastung 280 Todesfälle. Eine ausgeglichene Kosten-Nutzen-Bilanz eines Ausbaus der Kapazitäten würde daher erst bei einem Wert von rund 190 000 Franken für ein statistisches Lebensjahr erreicht. Bei dieser Rechnung bleibt unberücksichtigt, dass auch eine grosszügigere Planung nicht verhindern kann, dass es vorübergehend zu einer sehr hohen Bettenauslastung und somit zu zusätzlichen Todesfällen kommt. Weiterhin wäre zu beachten, dass für kleine Spitäler der niedrigere Schwellenwert nicht ausreicht, die Gefahr einer Überlastung hinreichend zu reduzieren. Es wäre also mit weiteren zusätzlichen Kosten zu rechnen.

Wenn auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis für das Anliegen des Studienleiters Prof. Simon ungünstig aussieht, ist ihm bei seiner Äusserung zuzustimmen, dass die Schweizer Spitallandschaft zu kleinteilig sei und eine Konzentration die Effizienz der Versorgung steigern würde. Reservekapazitäten können in grösseren Spitälern nicht nur kostengünstiger vorgehalten werden, sondern sie vermeiden auch Todesfälle, die in kleineren Einheiten aufgrund überlasteter Kapazitäten auftreten.

Narayan Sharma, Giusi Moffa, René Schwendimann, Olga Endrich, Dietmar Ausserhofer, Michael Simon, The effect of time-varying capacity utilization on 14-day in-hospital mortality: a retrospective longitudinal study in Swiss general hospitals
BMC Health Services Research (2022). doi: 10.1186/s12913-022-08950-y

2 Kommentare

  1. Na, jetzt frage ich mich, ob der Artikel durch ChatGPT geschrieben wurde.
    Als ehemaliger Wissenschaftler würde ich mir die Frage stellen, woran mag denn wohl die höhere Sterblichkeit liegen:
    – Daran, dass Notfälle nicht richtig behandelt werden?
    – Daran, dass wichtige Operationen nicht rechtzeitig durchgeführt werden?
    – Daran, dass aus Überlastungsgründen das Pflegepersonals die Patienten nicht richtig versorgen kann?
    – …
    Ich bin mir sicher, wenn man das intelligent angeht, wird man kostengünstige Varianten finden als die oben dargestellte, die Sterblichkeit zu senken aber dabei müsste man sich natürlich “die Hände dreckig machen”.

    Vielleicht macht es Sinn, die am Anfang zitierte Statistik als Warnzeichen zu verstehen: Wir sind so ziemlich am Limit und wir müssen etwas tun! Schade finde ich es wenn man das mit grob vereinfachten und damit wahrscheinlich falschen Bierdeckelrechnungen versucht abzutun.

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