Regionale Mindestlöhne – Fluch oder Segen?

Das Stimmvolk hat entschieden. Nun kommt auch in den Städten Zürich und Winterthur ein Mindestlohn. Zuletzt hatte Basel-Stadt im Juli 2022 einen kantonalen Mindestlohn eingeführt, nach Genf, dem Tessin, Neuenburg und dem Jura.

Mindestlöhne gibt es in der Schweiz schon lange im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen. Der grosse Vorteil dieses Formats ist, dass es unterschiedlichen Tätigkeitsanforderungen und unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Branchen Rechnung trägt.  Gut funktionierende Sozialpartnerschaften und flexible Arbeitsmärkte sind denn auch einer der Erfolgsfaktoren der Schweiz. Sie ermöglichen Unternehmen die Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen.

Regionale Mindestlöhne hingegen nehmen auf Branchenunterschiede keine Rücksicht und damit gefährden sie diese Flexibilität. In Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel mag dies wenig relevant erscheinen. Problematisch wird es jedoch dann, wenn es mal nicht so gut läuft.

Doch wie reagieren Unternehmen wirklich auf die regionalen Mindestlöhne? Um dies herauszufinden, haben wir von Januar bis Mitte April knapp 2’000 Unternehmen anonym befragt. Das vordringlichste Ziel der Befragung war eine Bestandsaufnahme ein halbes Jahr nach Einführung des kantonalen Mindestlohns in Basel-Stadt am 1. Juli 2022. Zusätzlich wurde erhoben, wie Unternehmen in anderen Kantonen mit Mindestlohn auf die dortige Einführung reagiert haben, und wie Betriebe in Kantonen ohne Mindestlohn auf eine Einführung reagieren würden.

Dabei zeigt sich ein überraschend einheitliches Bild. Als häufigste Anpassungsmassnahmen an einen kantonalen Mindestlohn werden Preiserhöhungen, weniger Einstellungen und weniger Investitionen genannt. Dies gilt sowohl für den Kanton Basel-Stadt und andere Kantone mit Mindestlohn, als auch für Kantone ohne Mindestlohn. Durch Preissteigerungen werden die höheren Kosten auf die Kundinnen und Kunden abgewälzt. Zurückhaltung bei den Einstellungen macht es für Stellensuchende schwieriger einen Job zu finden, insbesondere für jene, die es auch so bereits schwer haben eine Stelle zu finden. Weniger Investitionen gefährden längerfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und somit auch Arbeitsplätze.

Dieses Ergebnis stimmt nachdenklich für die Zukunft der Schweiz. Preiserhöhungen sind gerade für Haushalte mit geringen Einkommen schwierig. Zwar profitieren einige auch direkt von den Lohnerhöhungen. Für die meisten von Armut betroffenen Haushalte in der Schweiz trifft dies jedoch nicht zu, da die Armut andere Ursachen hat. Geringqualifizierte Stellensuchende laufen Gefahr aus dem Arbeitsmarkt verdrängt zu werden. Und wenn die Unternehmen im Niedriglohnsektor nicht mehr wettbewerbsfähig sind, droht auch den dort Beschäftigten der Arbeitsplatzverlust.

Nun kann man einwenden, dass Selbstauskünfte von Unternehmen wenig aussagekräftig sind. Zudem haben an der Befragung vor allem Unternehmen teilgenommen, die von den Mindestlöhnen direkt betroffen sind oder wären. Die Befragung ist somit nicht repräsentativ. Aber zum einen sind es ja genau die betroffenen Unternehmen, die sich anpassen müssen. Deshalb ist es wichtig zu erfahren, wie sie reagieren. Zum anderen zeigen sich die Anpassungen auch, wenn man die Entwicklung der Preise, Einstellungen und Investitionen von Unternehmen in Basel-Stadt jener in ähnlichen Unternehmen in vergleichbaren Kantonen ohne Mindestlohn gegenüberstellt.

Bei diesem Vergleich zeigt sich zusätzlich, dass Unternehmen in Basel-Stadt mehr Arbeitsplätze in andere Kantone verlegt und stärker automatisiert haben als in den Vergleichskantonen. Zudem treten interessante Unterschiede je nach Unternehmensgrösse zutage. Es sind vor allem grössere Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitenden, die Preise erhöht, weniger eingestellt, mehr automatisiert und mehr Ausnahmen vom Mindestlohn genutzt haben. Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere Kantone und weniger Investitionen kommen dagegen vor allem bei den kleineren Unternehmen vor. Dies lässt vermuten, dass es vor allem für kleinere vom Mindestlohn betroffene Unternehmen schwierig ist Preiserhöhungen durchzusetzen und ihnen die finanziellen Mittel für Investitionen in neue Technologien fehlen. Regionale Mindestlöhne bedrohen somit vor allem die Existenz der kleineren Unternehmen in Niedriglohnbranchen und die Arbeitsplätze derjenigen, die sie beschäftigen.

Alle Ergebnisse der Befragung finden Sie hier: https://wwz.unibas.ch/fileadmin/user_upload/wwz/00_Professuren/Wunsch_Arbeitsmarktoekonomie/Forschung/Bericht_Mindestlohn_BS_Uni_Basel_Welle2_final.pdf

5 Kommentare

  1. „Die Befragung wurde erneut über die Kanäle des Arbeitgeberverband Region Basel, des Gewer-
    beverband Basel-Stadt und der Handelskammer beider Basel verteilt.“ [Wirkungsmonitoring Mindestlohn Basel-Stadt,Bericht zur 2. Betriebsbefragung, 12. Juni 2023, S.7/44]. Na ja..
    Darf man erfahren, mit welchem Kommentar diese Umfrage an die Mitgliedsfirmen weitergeleitet wurde? Ich zweifle an der Objektivität.

    1. Nur weniger als 10% der knapp 2’000 Teilnehmenden wurden über diesen Kanal akquiriert, mehr als 90% über direkte Kontaktierung durch das Forschungsteam. Der Einfluss dieser Teilnehmenden auf die Ergebnisse ist somit in jedem Fall gering.

    2. Die Umfrage wurde von uns mit folgendem – zweifelsfrei objektiven – Aufruf verbreitet: «Seit 1. Juli 2022 gilt im Kanton Basel-Stadt der gesetzliche Mindestlohn. Dieser beträgt neu CHF 21.45/Std. (wird jährlich gemäss dem Mischindex angepasst). Im Rahmen eines unabhängigen Forschungsprojekts untersucht die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Basel die Auswirkungen der Mindestlohneinführung in Basel-Stadt – mit Daten aus einer Unternehmensbefragung vor und nach der Einführung. Für belastbare Ergebnisse ist eine hohe Beteiligung möglichst vieler Firmen wichtig! Deshalb ist die Uni Basel auf Ihre Unterstützung angewiesen. Auch von der Gesetzgebung nicht betroffene Unternehmen (aus anderen Kantonen oder mit höheren Löhnen) sind für eine valide Analyse notwendig.Die neue Befragung läuft bis Anfang Februar. Der Datenschutz ist vollumfänglich gewährleistet. Die Beantwortung der Fragen dauert maximal 10 Minuten! Für den Arbeitgeberverband Region Basel sind die Resultate der Studie von Bedeutung – wir danken Ihnen deshalb fürs Mitmachen.» Freundliche Grüsse, Arbeitgeberverband Region Basel

  2. Ich beurteile Mindestlöhne aus folgenden Gründen etwas differenzierter und positiver als Frau Wunsch:
    a) Ob die im Kanton BS kommenden obligatorischen Mindestlöhne eher ein Fluch oder eher ein Segen sind lässt sich heute – vor deren Einführung – noch nicht beurteilen. Eine Beurteilung ist m.E. erst aufgrund von praktischen Erfahrung nach Einführung eines Mindestlohnes möglich.
    b) Dass vor deren Einführung Mindestlohnvorschriften von Arbeitgebern grossmehrheitlich negativ beurteilt werden erstaunt nicht. Sie können davon keine Vorteile erwarten müssen aber gewisse Nachteile und Einschränkungen befürchten. Eine Befragung muss daher auch andere Akteure einbeziehen. Auch dies ist aber erst aufgrund praktischer Erfahrungen und Beobachtungen sinnvoll.
    c) In den Kantonen BS, JU und TI gelten die kantonalen Mindestlohnvorschriften für die einem allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag unterstellten Arbeitnehmenden nicht sofern dieser Gesamtarbeitsvertrag tiefere Mindestlöhne vorschreibt. Zwischen den staatlich fixierten und den zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen ausgehandelten Mindestlöhnen sollten daher keine allzu grossen Unterschiede entstehen können. Staatliche Mindestlohnvorschriften, die durch einen allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag übersteuert werden können sind sicher anders zu beurteilen als jene, die ohne diesen Vorbehalt gelten – wie es bei den Mindestlohnvorschriften von GE, NE, Stadt Zürich und Stadt Winterthur der Fall ist.
    d) Um den freien Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt längerfristig zu sichern und den Abschluss weiterer bilateraler Verträge zu ermöglichen braucht es u.a. einen wirksamen Schutz des hohen schweizerischen Lohnniveaus. Der für den Lohnschutz massgebende Grundsatz „gleicher Lohn für die gleiche Arbeit am gleichen Ort“ gilt auch zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Ein Arbeitgeber, der Mitarbeitende zur Arbeit in einen andern EU-Mitgliedstaat entsendet, muss diesen mindestens den dort geltenden obligatorischen Mindestlohn bezahlen. Nicht verbindlich vorgeschriebene Mindestlöhne muss er hingegen nicht beachten da ihn einheimische Arbeitgeber nicht beachten müssen. Es ist anzunehmen, dass der schweizerische Lohnschutz dieses Verfahren zumindest teilweise übernehmen wird (muss). Von ausländischen Arbeitgebern kann man jedoch nicht verlangen, dass sie ihren in die Schweiz entsandten Arbeitnehmenden Löhne bezahlen, die in der Schweiz zwar als orts- und berufsüblich gelten aber nicht obligatorisch sind. Da sich einheimische Arbeitgeber wegen fehlendem Obligatorium nicht daran halten müssen würde dies dem Personenfreizügigkeitsabkommen (Gleichbehandlung von schweizerischen und EU-ausländischen Arbeitgebern) widersprechen. Heute gelten in der Schweiz nur für etwa die Hälfte der Arbeitsverhältnisse obligatorische Mindestlöhne. Um den Lohnschutz zu verbessern braucht es daher mehr obligatorische Mindestlöhne. Diese müssen nicht höher angesetzt werden als die Löhne die sich auf dem Arbeitsmarkt bilden und können flexibel sich ändernden Verhältnissen angepasst werden. Wichtig ist dass sie obligatorisch sind und daher auch von einheimischen Arbeitgebern gelten. Zu diesem Ergebnis sind wir im vergangenen Jahr in einer vom ehemaligen Zürcher Regierungsrat Markus Notter geleiteten kleinen Arbeitsgruppe (vier Sozialdemokraten) gekommen. (vgl.“Lohnschutz für alle – mit Europa“ http://www.lohnschutz-fuer-alle-mit-europa.ch)

    Schlussfolgerung: Richtig ausgestaltet dürften (nicht zu hohe) Mindestlöhne volkswirtschaftlich kaum schädlich sein. Falls es zur Sicherung des hohen schweizerischen Lohnniveaus mehr obligatorische Mindestlöhne braucht sollten sie eingeführt werden.

  3. Eigentlich verrückt: Die Ökonomik hat noch nie etwas anderes vorausgesagt. Und nichtsdestotrotz kommen Gewerkschaften und Linke immer wieder mit den Mindestlöhnen.

    Das ist nur politökonomisch zu erklären.

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