Das Virus fährt mit: Mobilität vor und mit Corona

Die Corona-Krise hat das Mobilitätsverhalten in der Schweiz stark beeinflusst. Noch kann man nicht einschätzen, wie nachhaltig diese Veränderungen sind, und vieles hängt von den Entscheidungen der Firmen und Angestellten sowie der Verbreitung des Virus in den kommenden Monaten ab. Trotzdem sind die bisherigen Entwicklungen relevant, da sie Hinweise liefern für ein mögliches Kapazitätsproblem. Die Reaktion der Verkehrsteilnehmer auf die Krise ist ausserdem stark geprägt von soziodemografischen Variablen.

In einer Studie, die bereits im letzen Jahr gestartet wurde, untersucht die Universität Basel zusammen mit der ETH Zürich und der ZHAW das Mobilitätsverhalten von Personen in städtischen Agglomerationen in der Schweiz. Die Daten erlauben einen Einblick in die Mobilität vor, während und nach der Krise. Dabei werden die Wege und die Verkehrsmittelwahl mit Hilfe einer Tracking-App erfasst, welche die Teilnehmer, momentan etwas mehr als tausend Personen, auf ihren Smartphones installiert haben. Eine wöchentliche Zusammenfassung der Daten ist hier erhältlich.

Es wird eine Weile dauern, bis der wachsende Datenberg analysiert ist. In diesem Beitrag möchte ich einige vorläufige Resultate herausgreifen, die uns besonders interessant erscheinen:

1. Langsame Erholung der Mobilität

Abbildung 1 zeigt die durchschnittliche Reduktion der Distanzen, getrennt nach Wochentagen und Wochenenden (inklusive Feiertage). Obwohl in der Schweiz keine Ausgangssperre verordnet worden war, die Massnahmen also vorwiegend freiwillig waren, brach die Mobilität relativ zur Vor-Corona-Zeit (August und September 2019) um rund zwei Drittel ein. Seither hat eine Erholung stattgefunden, die aber nicht vollständig ist: Anfang Juni betrug die Gesamtmobilität etwa 75% der Baseline, mit leicht höheren Werten an den Wochenenden.

Abbildung 1: Gesamtmobilität während der Corona-Krise

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Notiz: Reduktion der Mobilität relativ zu einer Baseline im August und September 2019. Die vertikalen Linien zeigen die Einführung der besonderen Lage (16.3.) und die Öffnungsschritte am 24.4. und am 11.5.

2. Viel Velo und Auto, wenig öffentlicher Verkehr

Gleichzeitig variiert die Erholung stark, je nach Verkehrsmittel, das wir betrachten: Während die Auto-km wieder bei ca. 85% angelangt sind, erholt sich der öffentliche Verkehr viel langsamer. Gleichzeitig sehen wir einen starken Anstieg des Fahrradverkehrs (Abbildung 2).

Abbildung 2: Veränderung der Distanzen pro Verkehrsmittel

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3. Die Veränderung der Mobilität variiert mit dem Einkommen

Vor dem Virus sind nicht alle gleich. Personen mit tieferen Einkommen haben ihre Mobilität weniger stark reduziert als Personen mit höheren Einkommen (Abbildung 3). Verantwortlich für dieses Bild sind vor allem zwei Dinge: Haushalte mit oberen Einkommen haben ihre Autofahrten stärker reduziert als der Durchschnitt. Gleichzeitig nutzen Haushalte mit tiefen Einkommen den öffentlichen Verkehr stärker als die anderen Einkommensklassen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bezüglich Ausbildung: Die Reduktion der Wege während der Krise (relativ zur Baseline) steigt mit den Jahren an Ausbildung. Ein wahrscheinlicher Grund dafür ist, dass Personen mit tiefen Einkommen und weniger Ausbildung seltener Homeoffice machen konnten und weiterhin zur Arbeit pendeln mussten.

Abbildung 3: Mobilität nach Einkommenskategorien

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4. Ein Boom auf teuren Velos?

Beim Fahrradverkehr ist es umgekehrt: Dieser wird vor allem von Velofahrern mit mittleren und hohen Einkommen verursacht und findet insbesondere an den Wochenenden statt (Abbildung 4). Für die unterste Einkommenskategorie finden wir dagegen kaum Anzeichen für einen Anstieg der Velo-km.

Abbildung 4: Fahrraddistanzen relativ zur Baseline, pro Einkommensklasse

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5. Gleichstellung der Geschlechter während Covid-19

Je mehr Personen im Haushalt, desto grösser ist die Reduktion der Mobilität. Dies ist aufgrund der temporären Schliessung der Schulen nicht überraschend (es gibt keine Kinder in 1-Personen-Haushalten). Männer in kleinen Haushalten sind zwar mobiler als Frauen, aber in grösseren Haushalten sehen wir keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern (Abbildung 5): Während der Epidemie scheint die Kinderbetreuung gleichmässig aufgeteilt zu werden.

Abbildung 5: Mobilität nach Haushaltsgrösse und Geschlecht

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Es ist noch zu früh, um die langfristigen Konsequenzen der Krise auf die Mobilität zu beurteilen. Der Härtetest steht noch an, voraussichtlich nach den Sommerferien. Ein besonders unerfreuliches Szenario könnte eintreffen, wenn viele Firmen wieder auf «Workoffice» umstellen und die Mehrheit der Arbeitnehmer mit dem Auto hinfährt. Dies hätte verheerende Konsequenzen bezüglich Stau und anderen externen Kosten des Strassenverkehrs. In diesem Fall bräuchte es dringend Massnahmen, welche die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Verkehr reduzieren. Zum Beispiel eine Maskenpflicht.

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