Am 13. Juni wird in der Schweiz über die Revision des CO2-Gesetzes abgestimmt. Das Gesetz sieht vor, die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 50% (gegenüber 1990) zu reduzieren. Massnahmen werden in den Bereichen Raumwärme, Verkehr und Luftverkehr ergriffen. Das Gesetz wurde im National- und Ständerat bereits mit deutlichen Mehrheiten beschlossen. Ebenso haben sich viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für das Gesetz ausgesprochen.
Das Gesetz wird aber angegriffen. Es ist daher interessant, die Argumente für und gegen das Gesetz etwas genauer zu betrachten. Auf die Frage, warum eine Revision des CO2-Gesetzes ökonomisch sinnvoll ist, bin ich bereits in einem anderen Beitrag (https://unibaswwzfaculty.blog/2020/08/11/klimapolitik-oekonomisch-rational-oder-gruene-planwirtschaft/) eingegangen. Hier möchte ich mich daher mit den Gegenargumenten befassen.
Diese kommen aus zwei sehr unterschiedlichen Richtungen. Ein Nein-Komitee argumentiert, dass das Gesetz nicht weit genug geht und daher abgelehnt und später durch ein besseres Gesetz ersetzt werden sollte. Natürlich kann es sein, dass ein Gesetz abzulehnen ist, weil es einen zu zaghaften Schritt darstellt. Der Grund warum das C02 Gesetz so wahrgenommen werden kann, ist aber genau die Dringlichkeit des Klimawandels. Langfristig zielt die Schweiz ohnehin auf Netto-Null-Emissionen. Die Frage ist nur, wann dieses Ziel erreicht werden soll. Es scheint wenig plausibel, dass eine Ablehnung des Gesetzes zu einer rascheren Reduktion der Emissionen führen wird. Ein zweites gegen das Gesetz angeführtes Argument bezieht sich auf die formulierten Massnahmen: Diese würden nicht ausreichen, um die Ziele zu erreichen, und würden, zum Beispiel durch den Emissionshandel, Emittenten aus der Verantwortung entlassen. Es ist korrekt, dass die Massnahmen wahrscheinlich nicht ausreichen werden, aber es geht in diesem Gesetz auch nicht um eine finale Gestaltung der Klimapolitik in der Schweiz, sondern um den nächsten Schritt. Es wäre vermessen, heute schon vorgeben zu wollen, was in 20 Jahren unternommen werden soll, um Reduktionsziele zu erreichen. Dass Emissionshandel und Kompensation nicht zu einer Reduktion beitragen, ist hingegen sachlich falsch und durch zahlreiche Studien widerlegt.
Insgesamt ist diese Argumentation wissenschaftlich nicht überzeugend. Interessanter ist die konträre Argumentation des anderen Nein-Komitees: Die Massnahmen würden insbesondere einkommensschwache Haushalte und Familien stark belasten, wären insgesamt zu teuer und würden wenig bringen, da die THG-Emissionen der Schweiz nur einen kleinen Teil der weltweiten THG-Emissionen ausmachen.
Zunächst zum ersten Punkt, den Verteilungsaspekten des Gesetzes. Das Beratungsbüro B.S.S hat diese Frage 2019 in einer Kurzstudie untersucht, die ich begleiten durfte. Auf der Basis vorhandener Ausgabenstrukturen wurden die Verteilungseffekte verschiedener klimapolitischer Massnahmen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Familien und Haushalte mit geringem Einkommen, je nach Massnahme, entweder zu den Gewinnern der Politik gehören oder nur in geringem Umfang belastet werden. Zudem lässt sich der Verteilungseffekt der Politik durch die Art der Finanzierung und die Form der Rückverteilung der Gelder sehr fein steuern. Verteilungswirkungen sind daher kein ernsthaftes Argument gegen das Gesetz.
Das zweite Argument des Nein-Komitees ist, dass die Massnahmen zu teuer wären. Die Frage ist hier was „zu teuer“ bedeutet. Natürlich wird Klimaschutz Geld kosten. Ebenso verursachen jedoch auch Klimaschäden erhebliche Kosten. Die relevante Frage ist daher, ob die Massnahmen zur Reduktion günstiger sind als die Schäden durch Klimawandel. Hierzu gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien, die alle zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen: Sind uns die nächsten Generationen (Kinder, Enkel, Urenkel) ähnlich viel wert wie wir selbst, rechnen sich auch weitaus teurere Massnahmen als sie im Gesetz vorgesehen sind. Würden wir z.B. die kommenden Generationen als gleichwichtig wie uns selbst ansehen, sollten Massnahmen bis zu ca. 1000 CHF pro t vermiedenes CO2 ergriffen werden (das Gesetz beschränkt die CO2-Abgabe hingegen auf 210 CHF pro t CO2). Das Argument gegen das Gesetz ist daher nur plausibel, wenn uns unser Wohlergehen heute weitaus wichtiger ist als das Wohlergehen der uns nachfolgenden Generationen.
Das dritte Argument des Nein-Komitees ist, dass die Schweiz hier im internationalen Vergleich „radikale“ Ziele setzt, die kaum Wirkung haben werden, da die anderen Länder ja weiter emittieren. Zur Beurteilung dieses Arguments ist es hilfreich, einen Blick auf Reduktionsziele und Emissionen zu werfen (Tab. 1 und 2). Tabelle 1 zeigt die Ziele der Schweiz im Vergleich mit den Zielen, die zurzeit in anderen Industrieländern verfolgt werden. Dies macht deutlich, dass die Ziele der Schweiz jenen anderer Industrieländer ähneln, also keineswegs „radikal“ sind. Ebenso sind die Emissionen der hier aufgeführten Länder (-gruppen) insgesamt gross genug, damit die Reduktionen Wirkung zeigen.
Land | Reduktionsziel (gegenüber 1990) |
Schweiz | 50% bis 2030 |
EU | 55% bis 2030 |
Grossbritannien | 78% bis 2035 |
USA | 50% bis 2030 |
Tabelle 1: Reduktionsziele einiger Industrieländer, eigene Zusammenstellung
Natürlich gibt es Länder, die sich weniger ambitionierte Ziele gesetzt haben. Nur sind dies fast ausschliesslich Länder, in denen frühere THG-Emissionen sehr niedrig waren. Das Klimaproblem resultiert aus den Emissionen der vergangenen 100-200 Jahre, die uns so nahe an den Rand eines starken Klimawandels gebracht haben, dass weitere Emissionen ein Problem darstellen. Entsprechend dem Verursacherprinzip sollten jene Länder, welche uns in den vergangenen 200 Jahren in diese Situation gebracht haben, auch zuerst mit den Emissionsreduktionen beginnen. Tabelle 2 verdeutlicht dies: In den vergangenen 120 Jahren hat ein Mensch in der Schweiz im Durchschnitt 8-mal so viel zum Klimawandel beigetragen wie ein Mensch in Indien. Das Argument des Nein-Komitees ist nur plausibel, wenn wir uns vom Gedanken des Verursacherprinzips trennen.
Land | Durchschnittliche CO2-Emissionen 1899-2019 (CO2-Äquivalente, ohne Landnutzungsänderung) |
Schweiz | 4 t pro Kopf und Jahr |
Österreich | 5,4 t pro Kopf und Jahr |
Grossbritannien | 10 t pro Kopf und Jahr |
Deutschland | 9,6 t pro Kopf und Jahr |
China | 1,5 t pro Kopf und Jahr |
Indien | 0,5 t pro Kopf und Jahr |
Indonesien | 0,6 t pro Kopf und Jahr |
Tabelle 2: Historischer Beitrag zum Klimawandel, Quelle: Our world in data
Zusammenfassend kann gegen das CO2-Gesetz argumentiert werden. Die vorgebrachten Argumente sind aber nur dann stichhaltig, wenn wir uns selbst als deutlicher wichtiger ansehen als unsere Kinder und Enkel oder die Verantwortung für unsere Emissionen in der Vergangenheit ablehnen.
“Bygones are bygones”: Stanley Jevons Diktum ist auch für die Umweltökonomie maßgeblich. Das Verursacherprinzip, das selbst nach vorne gerichtet gemäß dem Coase Theorem nicht zwingend ist, rückwärts zu reklamieren, kommt einer gesellschaftspolitischen Stellungnahme gleich.
Jevons “bygones are forever bygones” entspringt einem deskriptiven Kontext (der Erklärung des Wertes eines Gutes). Es gibt meines Wissens wenig solide Argumente, warum in einer normativen Perspektive (was sollen wir gegen Klimawandel tun) vergangene Handlungen vollständig irrelevant sein sollten. In der Tat sehen diverse Umweltgesetze eine rückwärts gerichtete Verantwortung vor (z.B. wird im Bereich der Altlastensanierung oft auch nach vielen Jahren versucht Kosten dem Verursacher anzulasten).
Gleiches gilt für das Coase Theorem: Es beschreibt, dass das Verursacherprinzip nicht notwendig ist, um ein effizientes Ergebnis zu erreichen. Dies impliziert aber nicht, dass es nicht starke ethische Gründe für die Verwendung des Verursacherprinzips geben kann.
Der Kontext auf den ich mich beziehe ist explizit ein normativer Kontext. Es geht nicht um die Frage, ob eine Lösung des Klimawandels auch ohne Berücksichtigung vergangener Emissionen möglich wäre, sondern um die Frage, welchen ethischen Standpunkt wir einnehmen, wenn wir argumentieren, dass die Schweiz sich gleich verhalten sollte wie Indien oder Indonesien.
Das Thema Verantwortung für historische Emissionen wird im IPCC Report 2014 (WG III, Kapitel 3) recht ausführlich aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Insbesondere die dazu verwendeten Arbeiten von Lukas Meyer (Univ. Graz) machen deutlich, dass es ethisch durchaus sinnvoll sein kann eine solche Verantwortung zuzuweisen. Dies wird häufig auch als ein Grund für die Formulierung “common but differentiated responsibilities” im UNFCCC gesehen.
Das Gesetz besteht in seinem Kern aus Lenkungsabgaben in den Bereichen Brennstoffe, Treibstoffe und Luftverkehr und einem (eher kleinen) Emissionshandelssystem. Der (im Vergleich zu anderen Ländern) ausgeprägte Fokus auf Anreizinstrumente entspricht exakt den seit Jahren gegebenen Empfehlungen aus der Ökonomie.
Auch die Nutzung mehrerer Lenkungsabgaben ist durch die aktuelle Forschung recht gut gedeckt. In der realen Welt liegt eben nicht eine perfekt funktionierende Marktwirtschaft mit nur einem Umweltproblem vor (in einer solchen Idealwelt sollte ein einheitlicher CO2-Preis gesetzt werden), sondern bereits vorhandene Steuern und Markteingriffe sowie sektorspezifische Externalitäten machen eine Differenzierung der Politik sinnvoll. Dafür braucht es keine polit-ökonomische Argumente; ein einheitlicher CO2-Preis wäre unter den gegebenen Umständen ökonomisch ineffizient.
Natürlich gibt es Punkte, die im Gesetz verbessert werden könnten. Nur macht es wenig Sinn auf die perfekte Regulierung zu setzen; diese wird es in der realen Politik selten geben. Die Frage ist daher nicht, ob das Gesetz ökonomisch perfekt ist, sondern ob es als nächster Schritt in der Klimapolitik gut genug ist.
Zur Frage normativer Standpunkte: Klimawandel ist durch die lange Verweildauer von Treibhausgasen in der Atmosphäre untrennbar mit der Frage von Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen verbunden. Dies ist eine normative Frage und wir wissen (spätestens) seit David Hume, dass eine solche Frage nicht ohne normativen Standpunkt erörtert werden kann. Es ist also eigentlich nicht nur nachvollziehbar sondern notwendig, dass auch Ökonomen sich hier normativ äussern.
Ja, klar normativ äussern – das wäre ja Ihre Hauptaufgabe. Regulierungsökonomisch unter dem Gesichtspunkt von Effizienz- und Verteilungsnormen. Das ist die normative Theorie der Regulierung. Im Unterschied zur positiven Theorie (warum wird reguliert, wie in der Praxis effektiv reguliert wird…. Public Choice).
Meine Aussage ist ja auch klar normativ: Das System ist (u.a.) überbestimmt und führt somit zu ineffizienten Ecklösungen.
Das Pariser Abkommen und alle Regulierungen, die in den beteiligten Staaten ergriffen werden, um die nationalen Ziele zu erreichen, sind im Hinblick auf das Allmendeproblem Klimaerwärmung ohnehin nicht zielführend und höchst ineffizient. CO2 wird gerade mal dort reduziert, wo es politisch opportun erscheint, unbesehen der Reduktionsgrenzkosten.
Wenn wir als Ökonomen das Fünfi grad sein lassen wollen, wie Sie es tun, dann brauchen wir keine Ökonomen mehr.
Wie bereits geschrieben: Die Aussage, dass das System aufgrund zu vieler Instrumente zu ineffizienten Ecklösungen führen würde, entspricht nicht dem Stand der Forschung. Eher im Gegenteil: Die aktuelle Forschung empfiehlt einen Mix an Instrumenten, um einer effizienten Lösung möglichst nahe zu kommen.
Ebenso sollte es offensichtlich sein, dass kaum ein Gesetz bei exaktem Hinsehen zu einer wirklich effizienten Lösung führen wird (nicht nur in der Umweltpolitik, sondern in fast allen Politikfeldern). Sollen Ökonomen daher gegen jedes Gesetz argumentieren? Dies würde uns ziemlich nutzlos machen. Die relevante Frage ist aus meiner Sicht daher immer: Ist der Zustand mit einem neuen Gesetz aus ökonomischer Sicht besser als der vorherige Zustand, nicht ob ein Gesetz ökonomisch perfekt ist.
Als Rückfrage: Warum sind das Pariser Abkommen und alle darauf bezogenen Regulierungen in den beteiligten Staaten “höchst ineffizient”? Dies ist eine ziemliche umfassende Aussage, die sicher eine detaillierte Argumentation bräuchte.
Das Gesetz ergibt mit Lenkungsabgaben, Geboten und Verboten ein überbestimmtes System mit der Folge ineffizienter Ecklösungen. Es ist grundsätzlich nicht nachvollziehbar, dass sich ein Ökonom quasi normativ zu diesem Gesetz bekennt. Ev. gibt es polit-ökonomische Gründe dafür, doch diese diskutiert der Autor ja nicht. Wie auch immer, wenn sich ein Ökonom zu einer Regulierung äussert, sollte er normative und positive Regulierungsökonomie betreiben. Sonst können wir ja direkt die Politiker und die CO2-Gesetzgewinnler fragen…