Frankenaufwertung und das Schweizerische Nettoauslandsvermögen

Zwischen 1985 und 2022 ist das Nettoauslandsvermögen der Schweiz von rund 200 auf 700 bis 800 Milliarden angewachsen und entspricht im Mittel der letzten Jahre mehr als 100 Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts. Abbildung 1 stellt diese Entwicklung dar und zeigt auch die hohe Volatilität dieser Grösse, insbesondere seit 2014. Während sich der Wachstumstrend einfach durch die anhaltenden Leistungsbilanzüberschüsse der Schweiz begründen lässt, erscheint die enorme Volatilität erklärungsbedürftig. Da die Auslandsforderungen und –Verbindlichkeiten neben Direktinvestitionen zu einem wesentlichen Teil auch Aktien- und Obligationenanlagen sowie Bankkredite umfassen, spielt die immer wieder sehr volatile Entwicklung der entsprechenden Preise zweifellos eine grosse Rolle. Dieser Ansatz passt gut zur jüngsten starken Abnahme des Nettoauslandsvermögen, die von Finanzmarkteinbrüchen begleitet war. Daneben spielt die Wechselkursentwicklung eine zentrale Rolle, wenn die Anlagen in fremder Währung denominiert sind. Diese Erklärung bietet sich für den gewaltigen Einbruch des Nettoauslandsvermögen 2014/15 mit der Aufgabe der Untergrenze für den Franken/Euro-Kurs an.

 Abbildung 1: Nettoauslandsvermögen der Schweiz in Mio Franken

In Abbildung 2 ist die Entwicklung der Brutto Auslandsaktiva und – Verbindlichkeiten dargestellt. Dabei findet sich neben den gesamten Aktiva auch die nicht von der SNB sondern vom Privatsektor gehaltenen Auslandsforderungen.

Abbildung 2: CH Bruttoauslandsaktiva und –Passiva, Mio. SFR

Abbildung 2 zeigt uns zwei wichtige Sachverhalte: Erstens ist das Nettoauslandsvermögen die Differenz von zwei extrem grossen Werten, die jeweils das sieben bis achtfache des BIP ausmachen. Diese Verhältnisse sind primär durch den Finanzsektor und eine auch sonst generell stark internationalisierte Wirtschaft bedingt. Dementsprechend haben auch schon relativ geringe prozentuale Veränderungen der Bruttopositionen unter Umständen sehr grosse Effekte auf das Nettoauslandsvermögen. Zweitens sehen wir, dass der Privatsektor bis 2008 fast 100% der gesamten CH-Auslandsaktiva gehalten hat. Nach der Finanzkrise ist ein immer grösserer Teil der Auslandsforderungen an die SNB übergegangen, die gewaltige Devisenmarkt-Interventionen zur Dämpfung der realen Aufwertung vorgenommen hat. Interessant ist auch, dass die Auslandaktiva des Privatsektors aktuell kleiner sind als seine Auslandsverbindlichkeiten, die im Falle der Schweiz zu beinahe 100% privater Natur sind. Mit anderen Worten: der Schweizerische Privatsektor ist um 2017 von einem Nettoauslandsgläubiger zu einem –Schuldner geworden.

In der Folge soll näher auf die Währungsstruktur von Auslandsforderungen und Verbindlichkeiten eingegangen werden. In Abbildungen 3 ist der Frankenanteil an den Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland dargestellt. Es zeigt sich, dass der Forderungsanteil nach einer Spitze von 40% in den späten 1980er Jahren auf aktuell unter 10% gefallen ist. Somit ist das Währungsrisiko auf den Schweizerischen Auslandsforderungen in den letzten 30 Jahren potentiell enorm gestiegen. Demgegenüber scheint der Frankenanteil an den Auslandsverbindlichkeiten relativ konstant. Er schwankt stationär zwischen 52 und 65% im betrachteten Zeitraum und reflektiert die anhaltend hohe internationale Nachfrage nach Anlagen in Franken. 


Abbildung 3: Frankenanteile Auslandsforderungen und -Verbindlichkeiten

Wie lässt sich der starke Fall des Frankenanteils bei den Auslandsforderungen seit den 1980er Jahren erklären? Dazu bietet sich die Entwicklung des Schweizerischen Zinsbonus an. Die Verzinsung von Frankenanlagen war in den ersten post-Bretton Woods Jahrzenten auch wechselkurs- und inflationskorrigiert geringer als bei vergleichbaren Anlagen in Fremdwährungen. Somit war die Verschuldung in Franken für viele ausländische Kreditnehmer interessant. Dieser Zinsbonus erodierte aber in den letzten 25 Jahren. Insbesondere nach der Finanz- und Staatschuldenkrise von 2007-2012, als die internationale Zinskonvergenz gegen Null tendierte, wurde die Verschuldung in Franken für Ausländer entsprechend weniger interessant.

Dieser «currency mismatch» von aktuell ca. 60% Verbindlichkeiten gegenüber ca. 8% Forderungen in Franken verursacht ein potentiell grosses Wechselkursrisiko für das schweizerische Nettoauslandsvermögen. Wechselkurs-Gewinne oder -Verluste würden nur dann durch entsprechend höhere Renditen der Aktiva und Passiva in unterschiedlichen Währungen ausgeglichen, wenn die empirisch äusserst fragwürdige offene Zinsparität gelten würde.

Zur Abklärung des Effektes des Wechselkurses wurde ein Modell geschätzt, dass das Nettoauslandsvermögen in Abhängigkeit vom Effektiven Wechselkurs (handelsgewichteter Index des Frankenkurses gegenüber allen Währungen, Anstieg bedeutet Frankenaufwertung), des «currency mismatch» (Differenz Frankenanteile von Aktiva und Passiva) sowie eines logarithmisch linearen Trends geschätzt. Alle drei Variablen weisen sich als hochsignifikante Determinanten des Nettoauslandvermögens aus.

Die Trendwachstumsrate des Nettoauslandsvermögens (ceteris paribus) liegt bei gut 1.7% pro Quartal und reflektiert die permanenten Leistungsbilanzüberschüsse der Schweiz. Der Einfluss des effektiven Wechselkurses ist jedoch zeitlich nicht konstant und hängt negativ vom «currency mismatch» ab. Abbildung 4 zeigt den Verlauf der geschätzten Elastizität des Nettoauslandsvermögens bezüglich des Wechselkursindex. In den 1980er Jahren mit relativ geringem «currency mismatch» lag dieser Wert bei -0.8 bis -0.9. Mit der starken Abnahme des Frankenanteils an den Auslandsanlagen ist dieser Wert in den letzten Jahren auf unter -2 gesunken. Wenn wir noch berücksichtigen das die Quartalsveränderung des Effektiven Wechselkurses im Mittel bei ca. 0.5% liegt erhalten wir eine mittlere Wechselkurs-bedingte Abnahme des Nettoauslandsvermögen von ca. 1 % pro Quartal. Mit anderen Worten: Die durch die Leistungsbilanz begründete Zunahme des Nettoauslandsvermögen von 1.7% pro Quartal wird zu knapp 60% durch die Frankenaufwertung zunichtegemacht.

Abbildung 4: Geschätzte Elastizität des Nettoauslandsvermögen bezüglich des Effektiven Wechselkurses

Diese Situation erscheint aus Schweizerischer Sicht relativ unerfreulich. Ändern lässt sich jedoch wenig daran. So wird der «currency mismatch» im wesentlich durch die ausländische Nachfrage nach Franken Forderungen und Verbindlichkeiten generiert und kann von der Schweiz kaum beeinflusst werden. Zudem ist aufgrund der im Vergleich zum Ausland wesentlich niedrigen Schweizer Inflationsrate mit einer anhaltenden Aufwertung des Frankens auch in der Zukunft zu rechnen.

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